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   Achtung unzensiert! - Satiren
  



Achtung unzensiert!



Satiren



Übersicht (Direktlinks):

Känguru im Kopf

Echt der "Burner", des mim Huhschde unn Schnubbe!

Ein intimes Gespräch

Das Ding mit dem Dings

Ungebetene lyrische Gäste

Das Pärchen am Nebentisch

Eimer sind Schweine

Durchgebrannt

Peterpanisch

Das große Fressen

Der Tod des kleinen Kritikasten

Katzenklo und Fischmenü

Antitypen in der Kneipe
 


  
Känguru im Kopf

Manche Menschen haben eigentümliche Berufe. Manchmal sitze ich einfach nur da
und muss plötzlich denken, dass so ziemlich jedes Ding mit mindestens einem
speziellen Job verbunden ist, sei es zum Zwecke der Herstellung, der Verteilung,
der Wartung oder auch der Entsorgung.


Irgendjemand, so geht mir dann durch den Sinn, muss ja zum Beispiel die Hähncheninnereien
aus den gemeuchelten Kreaturen herauspulen, in Tüten packen und diese wiederum in die
Hähnchenhintern hineinstopfen. Wie mag wohl die korrekte Berufsbezeichnung für derlei
Schaffen lauten? Spekulationen diesbezüglich erscheinen mir geradezu unschicklich.
Und in Anbetracht der Vielzahl äußerst eigentümlicher, menschlicher Berufe und Berufungen
könnte solch ein Bestreben wohl auch leicht zur Lebensaufgabe ausarten. Man denke nur an
das täglich millionenfach anwachsende Volk der Barbiepuppen: Geschickte Hände bewahren
diese anatomisch recht eigenwillig gestalteten Damen und Herren davor, splitternackt in die
Kinderzimmer dieser Welt einziehen zu müssen, bekleiden sie mit Miniatur-Stöckelschuhen,
klitzekleinen Dessous und Zwergen-Prêt-à-porter.
Was machst du eigentlich beruflich? Ja, weißt du, man könnte sagen, ich bin anziehend und
habe ständig mit langbeinigen Puppen zu tun…
Wer friemelt wohl die winzigen Lötnieten an die Speichen der Regenschirme? Und wie, zum
Teufel, kommt die Führerscheinattrappe nebst Personalausweis und Kreditkarte von dieser
Frau Mustermann in all die neuen Brieftaschen? Alle Jobs müssen eben von irgendjemandem
getan werden. Auch das Kläranlagen-Tauchen.
Ist ja im Grunde genommen auch gut so, wenn wir mal von letzterem und ähnlichem absehen,
nicht wahr, denn wovon sollten wir unseren Kindern die Barbiebande kaufen, wenn wir nicht
unser Täglich-Huhn mit all diesen ehrbaren Erwerbstätigkeiten verdienen würden.  
(Wenn Barbies Berufe hätten, wären übrigens sicherlich keine der oben genannten darunter,
denn Blaumann oder Kittel gehören meines Wissens nicht zu ihrer Standardgarderobe. Das
würde sich beim Ausflug im Miniatur-Cabriolet, auf dem Reitpferd oder im luxuriösen
Campingwagen auch nicht so gut machen. Da fragt sich der Fließbandarbeiter während er
der Plastik-High-Society Unterhosen verpasst, was er wohl herkunftstechnisch falsch
gemacht hat?)

Wenn ich also die vielen Alternativen so bedenke, finde ich eigentlich, dass ich Glück habe.
Ich habe beruflich nichts mit Hintern oder Barbieunterhosen zu tun und mit Nieten nur
gelegentlich und im übertragenen Sinne.
Mal schreibe ich Features, Glossen oder Reportagen für Zeitungen, dann wieder
Kurzgeschichten, Satiren oder Gedichte für Bücher. Romane waren auch schon dabei.
Das hat lange gedauert, war zermürbend und hatte zuweilen den Spaßfaktor des
Hähnchenhinternfüllens. Aber bequem hatte ich es dabei, warm ebenfalls, und solange
ich frische Socken trage, geben auch die Geruchsemissionen keinen Anlass zur Sorge.
Wenn ich nun so dasitze und das mit den Berufen überdenke, stelle ich mir vor, wie der
Hähnchen-Auspuler seinerseits dasitzt und über meinen Beruf nachdenkt.
Möglicherweise entschließt er sich, den Meinigen angesichts seiner eigenen Tätigkeit gar
nicht als ernsthaften Beruf zu akzeptieren. Ich könnte das durchaus verstehen - gerade
heute Morgen wieder.
Was zum Beispiel soll ein Fließbandarbeiter, der um zehn Uhr morgens schon zum 7583.
Mal den Akkuschrauber angesetzt hat, auch denken, wenn er mich um die Zeit regungslos
vor einer dampfenden Tasse Kaffee und einem leeren Word-Dokument in meiner Schreibstube
verharren sieht: "Oh Mann, die schuftet aber heute wieder!"?
Ich würde vermutlich sagen: Ich denke! Und er würde denken: Das faule Stück träumt!
Womit er genau genommen nicht so ganz unrecht hätte. Und ich auch nicht. Nur – wie soll
ich einem Menschen, der in meinen Augen allein schon aufgrund seiner verschmierten
Gummihandschuhe und der Hühnerpampe am Kittel moralisch im Recht ist, plausibel machen,
dass auch „Arbeit“ nur eine Frage der Definition ist. Wie, wenn es schon in meinem eigenen
Kopf so profan klingt als würde ich mich vor lauter schlechtem Gewissen in wirre
Verteidigungsstrategien versteigen?

Ich habe vor einiger Zeit ein Kinderbuch über einen schlappohrigen Hund geschrieben. Das
hat Spaß gemacht und war manchmal auch anstrengend. Beides. Spaß und Arbeit zusammen
ist nicht nur Spaß, sondern auch Arbeit - behaupte ich. Der Hähnchen-Auspuler legt die Stirn
in Falten. Ich vermute, dass seine Addition hier zu einem anderen Ergebnis führt.
Es war fertig, das Kinderbuch. Nur die Einleitung hatte noch gefehlt, und die Lektorin wurde
allmählich ein wenig hektisch.
Deshalb habe ich eines Tages mal wieder in ehrlicher Vollendungsabsicht im Schreibzimmer
gesessen, aus dem Fenster geschaut und gelangweilt gewirkt. Der kleine Fließbandarbeiter
in meinem Über-Ich sagte ab und zu „faules Stück“ - das war’ s. Keine Eingebungen. Keine
Produktion.
Mein Blick klebte auf dem Garten vor meinem Fenster. Oh, war das leer in meinem mentalen
„Schreibzentrum“, so still, nur Ruhe, selbstverständlich kreative Ruhe... bis auf diese
Geräusche in weiter Ferne, die sich tapsend näherten. Plötzlich sah ich wie es quer über
die Wiese angehopst kam, direkt auf mich zu. Es stützte den Kopf auf einen Arm und blickte
mich interessiert durchs geöffnete Fenster an:

„Meinst du mit Ruhe vielleicht Känguruhe?“, wollte es argwöhnisch wissen und erläuterte
sogleich kopfschüttelnd: "Das wäre aber völlig inkorrekt, denn mein Plural endet auf „s“,
und außerdem sind wir der Rechtschreibreform zum Opfer gefallen und unseres „hs“ beraubt
worden." Ich erfuhr, dass es ein „Graues Riesenkänguru“, lateinisch Macropus giganteus,
sei und vor dem Autorenberuf nicht die geringste Achtung habe. Zugegeben, es sei zwar
ganz unterhaltsam, das ganze schriftliche Analysieren, Kritisieren und Fabulieren, aber ich
solle mir nur nicht einbilden, einen wertvollen Beitrag zur gesellschaftlichen Entwicklung zu
leisten. Schließlich, so der ungebetene Gast mürrisch, könne man getrost mein komplettes
Geschreibsel der Welt präsentieren, ohne dass sich davon auch nur ein einziger Magen außer
dem Meinigen füllen würde.
Selbstverständlich konnte ich dies nicht so stehen lassen und setzte zu einem trotzig-
atemreichen „Aber der Mensch lebt schließlich nicht vom Brot allein!“ an. Durchs offene
Fenster hallte jedoch nur ein polemisches, lang gezogenes „Neiiiin?“ zurück. Ich muss
gestehen, dass es mir nicht gelang, überzeugende Argumente clever aneinander zu reihen,
da ich auf eine solche Diskussion nicht direkt vorbereitet war. Allerdings wurde mir alsbald
klar, dass dieser streitbare Giganteus voll und ganz auf der Seite meines Über-Ich-Bewohners
im Blaumann stand.   
Wir haben uns dann - nur aus Höflichkeit - noch eine Weile über dieses und jenes unterhalten,
wobei ich wiederum einräumen muss, dass Kängurus in umweltpolitischen Fragen und im
Bereich der gesunden Körperertüchtigung weitaus kompetenter sind als Autoren.
Schließlich verabschiedete es sich mit den Worten: „So, nun hast du ja hoffentlich was für
deine Einleitung. Jetzt rutsch mir den Buckel runter!“ und düngte beim Weghopsen noch
ausgiebig mein Tulpenbeet.
Ich habe es dann tatsächlich in meine Kindergeschichte eingebaut, die Diskussion über meinen
Berufstand und mein armseliges Abschneiden allerdings verschämt verschwiegen. Die Lektorin
meinte auch, das sei besser so.

Leilah Lilienruh
 


 

Echt der "Burner", des mim Huhschde unn Schnubbe!

Wenn Zeitgeistler sich gestresst fühlen, dann sind sie nicht etwa "einfach total mit
den Nerven am Ende" wie wir langweiligen Normalos oder fühlen sich "regelrecht
krank von dem ganzen Mist", sondern sie kriegen solche neudeutschen Krankheiten
wie etwa das "Burnout-Syndrom".

Die haben nämlich nicht nur die chiceren Anzüge und Tussi-Taschis, sondern auch die
angesagteren Krankheiten. Der stinknormale Südhesse ohne akademischen Grad und
Edeldesigner-Leibchen bekennt in solchen Fällen freimütig, wenn auch nicht ganz so eloquent:
“Isch bin joh heit schunn werrer emol escht feddisch!” Vielleicht kommt dann gerade irgendein
südhessischer Zeitgeistler vorbei und belehrt ihn streng: “Noa, du bist ned aafach nur
feddisch, moin Liewer. Du solltest dir dein Kopp vorsischtshalber emol vom Azzt unnersuche
losse, ob du ned aach des naie, lästische “Börnaud-Sündroom” häwwe tust. Ned, dass du
alsfott dademit schaffe gehst unn sisch des im Härrn festsetze tut.”

Der arme, eingeschüchterte, stinknormale Südhesse geht dann möglicherweise wirklich zum
Mediziner seines Vertrauens und bittet den Fachmann, ob der “vielleischt emol doa neigugge
kennd, dass doa ned am End erschendebbes kapudd is.” Am liebsten würde er dann natürlich
“aafach e Pill einwerfe unn gud is”. Na ja, so einfach ist das Ganze dann wohl doch nicht,
aber um den Exkurs hier zu beenden: Autor/inn/en, zumal südhessische, sind nochmal eine
ganz spezielle Spezies, die auf Stress sehr eigenwillig reagiert und zwar meistens nicht mit
englischsprachigen Störungen, sondern mit Schabernack, gern in Form einer kleinen Satire.

Ich persönlich nehme solche “Anfälle” ja inzwischen leicht, weil ich mich selbst schon ein
bisschen länger kenne und davon ausgehe, mich der begründeten Hoffnung hingeben zu
können, dass die erwartete Ernsthaftigkeit alsbald ins Künstlerhirn zurückschnellt. Familie und
Freunde jedoch haben dem Schalk in meinem Nacken wohl schon einige Querfalten auf der
Stirn zu verdanken, jene von der Sorte, die entstehen, wenn man die Augenbrauen öfter mal
halb erstaunt, halb verwirrt hochzieht. Besonders tragisch ist so ein Satiriker in der Familie
natürlich für die etwaigen Sprösslinge, vor allem, wenn sie sich gerade im Teenageralter
befinden, wo es quasi als hormonelle Störung gilt, wenn man sich mal nicht für die eigenen
Eltern schämt. Ich kann sagen, dass ich diesbezüglich die Hormonausschüttung meiner Kinder
wunderbar ankurbele. Ja, wirklich, Adrenalin bis unter die Schädeldecke. Gerade gestern
konnte ich meinen Jüngsten, der einige Tage mit einer Erkältung aus der Schule zuhause
bleiben musste, mit folgender Entschuldigung für seine Lehrer “erfreuen”. (Nach der Lektüre
meines Textes schien er mir allerdings einige dieser Querfalten mehr auf der Stirn zu haben.):


Entschuldischung

Arig geehrte Doamn unn Herre,

isch waas , dass des joh eischentlisch ned lustisch is, woann oaner krank is, äwwer weil des
Herbstwedder en sunschd goanz trübsinnisch macht, häbb isch mer gedenkt, isch erkläre
Ehne
des emol uff südhessisch. Doa klingt doch sogar so en kloane Gripp mit Huhschde unn
Schnubbe glei erschendwie witzisch, ned wor?!

Also, um die Sach korz zu mache (sou veel Zeit häwwe sie joh sischer aa ned übrisch als
Pädagog): Der Bub konnt die Doach aafach ned oam Unnerrischt teilnämme, weil er sou
fär
schterlisch huhschde deed, dass mär denkt hot, dass ehm glei des Härrn rausfliege würd
unn
außerdem dut ehm entsetzlisch der Kopp schmezze, woas joh aa beim Lerne störe kennd
(isch moi, weil mär joh dadezu des Härrn benötiesche dut). Dem Bub ging’s joh werklisch
hundsmiseroawwel.
Der war joh schunn völlisch nehwer der Kapp, also escht! Außerdem
nevvt des Gehuschd sischerlisch aa die oannere Kinner unn Kolleje?! Doa verstäjd mär joh
faschd ned mer, woas mer selwer babbeln dut.

Mir is uffgefalle, dass der Bub alsemol Huhschde hot. Dewäje häbb isch misch als Mudder
jetzt emol in Ruh hiegesetzt unn iwwerlegt, dass‘s bei Ehne inde Schul vielleischt äjendwu
ziehe dut. Möglischerweis is doa joh en Fenschder undischt orrer aner vunn de oannere
Kinner
n hot die Gripp unn bleibt mid seim Bobbes allweil ned dehoam. Mär waases joh ned,
gell?! Wenn’s Ehne einfalle dudd, an woas‘s laie kennd, kennden Sie’s mer joh vielleischt
emol middeile;-))

Mid fröhlischen Griese, Ihne Ihr

Leilah Lilienruh

die wo aach schunn als huhschde dut!
 

 


 

Ein intimes Gespräch

"Warum", frage ich mich manchmal, "warum passieren solche Sachen ausgerechnet
immer mir?!" Und warum sehen eigentlich alle schwarzen Motorradjacken aus den
Augenwinkeln gleich aus?

Eigentlich fängt alles meistens ganz harmlos an. So auch neulich: Gähnende Leere im
Kühlschrank. Ich also mit meinem Schatz los in den Supermarkt. Butter, Käse, Marmelade,…
da fehlt doch noch was… ahh, eine passende Unterlage, sonst muss man das Zeug direkt
von der Handfläche lecken. Wir rüber in die Abteilung mit den Backwaren, und während ich so
guckend vor den leckeren Fabrik-Broten, überaus gesunden Weißmehl-Brötchen und Kuchen
mit feinstem künstlichem Aroma stehe, fällt mir ein, dass ich am folgenden Morgen gern mal
wieder Croissants essen würde. NATÜRLICH frische Croissants, aber dann müsste ja einer
von uns vorher Bett und Haus verlassen und zum Bäcker latschen. Vielleicht würde es dann
gerade regnen oder stürmen. Womöglich fielen sogar faustgroße Hagelkörner. Und die Chance
dafür, dass es sich bei dem bedauernswerten Geschöpf in den gnadenlosen Fängen der Natur
um meine Person handeln könnte, steht immerhin bei 50 Prozent (selbst mit meinem
lieblichsten Augenaufschlag, der früh morgens und ungeschminkt leider nur halb so
eindrucksvoll rüberkommt).

Lecker, Küchenschwamm!
Also die zum Aufbacken. Schmecken nicht wie echte Croissants, sehen nicht aus wie echte
Croissants und sind in der Konsistenz einem Küchenschwamm nicht unähnlich, haben nur mehr
Kalorien. Nun gut, wenn die äußeren Umstände entsprechend sind, beißt man hin und wieder
auch mal in einen Küchenschwamm.

Ich suche also das entsprechende Regal mit den Augen nach der begehrten Ware ab und
säusele dabei meinem Schatz, der mit dem Wagen schräg hinter mir steht, zu, dass wir es
uns nach dem Frühstück im Bett ja noch ein bisschen eben dort gemütlich machen könnten,
er wisse schon, wie ich das meine.
Er ist kein Freund von vielen Worten. So wundere ich mich also auch nicht darüber, dass
er einfach nur schweigend dasteht und wartet. Ich bin dermaßen mit meinen Croissants und
der netten Szene in meinem Kopfkino beschäftigt, dass ich ihn gerade nicht anschauen kann,
aber ich sehe ja aus den Augenwinkeln seine Lederjacke.

Er dürfe auch die Croissantkrümeln aus meinem Bauchnabel pusten, verspreche ich ihm noch,
und es folgt eine kurze Aufzählung der Dinge, die außerdem denkbar wären. Selbstverständlich
wähle ich dabei eine tiefere Stimmlage und jenen Unterton, den ich persönlich für erotisch
halte. Ich finde, jetzt könnte er ruhig mal was dazu sagen. Wenigstens ein zufriedenes
Brummen wäre doch wohl angebracht, wenn frau sich verbal derart ins Zeug legt.
Hah, ich hab’s! Triumphierend schwenke ich die Tüte zu ihm herum: „Die haben die krümeligen,
kleinen Scheißerchen aber prima vor mir versteckt!“, entschlüpft es mir noch als ich das
Päckchen gerade in den Einkaufswagen werfen will.

Im falschen Film?
Zwei Sixpacks Bier, Partytüte Kartoffelchips, Tiefkühlpizza… ? Das ist aber nicht unser
Einkaufswagen – logischerweise, das ist nämlich auch nicht mein Mann! Der alte Ignorant ist
längst weitergeschlendert zum nächsten Regal und hat gar nichts von meinen heißen
Versprechungen mitgekriegt. Der junge Mann in der schwarzen Lederjacke schräg hinter mir
dafür aber schon. Der schaut mich jetzt irgendwie ziemlich verwundert an und rührt sich nicht
von der Stelle… Auf was wartet der? Und hat ihm schon mal jemand gesagt, dass es relativ
unvorteilhaft aussieht, wenn man mit offenem Mund glotzt?

Während ich murmele: „Vergessen Sie’s einfach, okay?!“, um mich eiligst in Richtung des
eigenen Einkaufswagens nebst Liebesobjektes zu begeben, hoffe ich noch inständig, dass
sein Kopfkino im Gegensatz zu meinem einen jugendfreien Film gezeigt hat und dass wir uns
nie wieder begegnen.

Es gibt diese Augenblicke, wo ich mir wünsche, auf einer Falltür zu stehen und die
Fernbedienung in der Hand zu halten. Mein Schatz hat sich übrigens vor Lachen gebogen,
bevor ihm eingefallen ist, mit theatralischer Senkrechtfalte auf der Stirn nachzuschieben:
„Super, kaum dreht man sich mal kurz um, schon quatschst Du wildfremde Typen an!“

Ein bisschen Mitleid hätte schon sein dürfen, oder?

Leilah Lilienruh
 


  

Das Ding mit dem Dings

Das Dings zum Flaschenöffnen

Also, dass mir aus schier unerfindlichen Gründen hin und
wieder die eine oder andere peinliche Panne passiert,
habe ich ja bereits anhand einiger Fallbeispiele veran-
schaulicht. Sei es das versehentliche Händchen-halten
mit wildfremden Herren oder das Verschwinden im
Wandschrank des Bürgermeisteramtes – wenn irgendwo
ein Fettnäpfchen wartet, dann finde ich es schon.
Da gäbe es dann allerdings noch so eine kleine Macke, die
mir als Autorin ja nun ganz besonders unangenehm und
zudem noch arbeitserschwerend ist.

„Meyers Lexikon“ nennt das Phänomen höflicherweise nicht
Macke, sondern ganz elegant „Wortfindungsstörung“ und führt
aus: „Symptom der amnestischen Aphasie, wobei der gesuchte
Begriff nicht gefunden und deshalb durch andere umschrieben
wird.“ Ich sage es einfach mal in meinen Worten: Mein Problem
ist das Ding mit dem Dings!

 

Man stelle sich beispielsweise eine ganz banale Alltagssituation vor: Ich decke den
Frühstückstisch und kriege – wie gewöhnlich – den Deckel vom neuen Marmeladenglas nicht
auf. Was suche ich nun also angestrengt in meiner Küchenschublade (nein, nicht die helfenden
Hände eines starken Mannes): Das Dings! Na, das Dings, Ihr wisst schon, das längliche aus
Metall mit Plastikgriffen, vorn innen so abgerundet, mit Zacken dran, damit man nicht
abrutscht, das, womit ich auch immer die Konservengläser aufmache. Ach Mensch, wie
nennt man das noch gleich…?

Man stelle sich weiter vor: Mein großer Sohn betritt in diesem Moment die Küche. Ich
beschreibe ihm derart umständlich das Objekt meiner Suche und verfalle bei meinem
„Bilderrätsel“ in immer neue ausschweifende Erklärungen: „Du weißt schon, Schatz, das Dings,
das der Papa damals im Restpostenladen gekauft hatte, was dann aber gleich kaputt
gegangen ist und was ich dann später nochmal neu vom Kaufhaus in der Fußgängerzone…“.
Und was tut mein Sohn? Schnappt sich das Marmeladenglas, dreht einmal locker am Deckel,
plopp, drückt mir das Glas wieder in die Hand und grinst: „Deckelöffner, Mama, einfach
Deckelöffner! Aber den brauchste ja jetzt nicht mehr.“
Ähm, dankeschön!

Wie die meisten anderen Fallen im Leben tritt übrigens auch die Wortfindungsstörung gern im
Rudel auf. Hat man erst einmal so ein Blackout, dann scheint sich die verbale Verblödung
augenblicklich im Gehirn auszubreiten. In solchen Momenten kommt es dann vor, dass ich das
eine Dings mit einem anderen Dings zu erkären versuche, was besonders intelligent wirkt.

„Dingse“ müssen übrigens nicht immer Dinge sein, sondern können auch für Personen
eingesetzt werden. Hier ein Beispiel aus der Welt des Films: Heimischer Videoabend. Alles
konzentriert sich gebannt auf die Einleitungssequenz des Spielfilms, den mein Mann
ausgeliehen hat. Da erscheint plötzlich dieser überaus gutaussehende, charmante
Schauspieler auf der Bildfläche, dieser Dings, Ihr wisst schon der, der auch in dem einen Film
mitgemacht hat, der Streifen damals hieß… Dings, ach Mensch, na, gleich komme ich drauf,
„Kate und Dings“… Na, jedenfalls hat der da mit der „Meg Dings“ zusammen gespielt, damals…
Und dann auch noch in “Australia” mit der anderen dünnen, blonden Dings… hier, sagt doch
mal, die Ex von dem Tom Dings. Und vor einigen Jahren wurde der doch auch zum „Sexiest
Man Alive“ gewählt. Irgendwas mit „Jack“ war’s. Nee, wartet mal, im Nachnamen war der
„Jack“, ach, genau, logisch „Jackman“. Aber, wie zum Geier, heißt denn der jetzt noch gleich
mit Vornamen? Das gibt’ s doch gar nicht… gleich hab’ ich’s… Dings… Dings… Dings…

Wenn meine Familie ganz viel Glück hat, finden diese Überlegungen nur inwändig statt, so
dass ich allein den ganzen Anfang vom Streifen nicht richtig mitkriege. Ansonsten kommt es
schon mal vor, dass mir ein vierstimmiges: „Hugh! Und jetzt Ruh!“ entgegenschallt.

Na gut, für heute erst einmal genug von meiner Wortfindungsstörung. Ich hoffe, Ihr habt
nicht das gleiche Problem, denn das ist wirklich sehr störend bei der… Dings… na, Dings…ähm…
KommuDings, ach, Ihr wisst schon!

Leilah Lilienruh
 


  

Ungebetene lyrische Gäste

Einige Gedanken zu Worten, Sätzen, Synkopen und anderen Störenfrieden

Eigentlich beginnt es immer ganz harmlos, was an sich noch keine Leistung darstellt, da
grundsätzlich fast alles im Leben ganz harmlos anfängt, sehen wir mal von der Tatsache ab,
dass die Geburt als solche schon ein erhebliches Trauma für Mutter und Kind beinhaltet.
Womit wir auch gleich die richtige Richtung eingeschlagen hätten, denn bei dem von mir im
Folgenden dazustellenden Problem geht es vom Prinzip her ja auch um eine Art Geburt, nur
dass es sich bei dem Sprössling eben nicht um einen putzigen, kleinen Neubürger, sondern
einen aufdringlichen Gedanken handelt und dass man im Unterschied zu Ersterem meistens
keinen blassen Schimmer hat, wie er reingekommen ist.

Plötzlich jedenfalls ist ein Wort in meinem Inneren Ohr, macht es sich gemütlich und will
partout aufgeschrieben werden, was ich auch bereitwillig tue, damit es Ruhe gibt. Allein fühlt
es sich natürlich nicht wohl. Ich hätte es ahnen müssen. Die schriftstellerische Erfahrung
lehrt, dass Worte meistens nur im Verbund mit anderen Worten eine gewisse Zufriedenheit
empfinden. Ich vermute, dass ihnen bewusst ist, wie viel mehr man in der Gemeinschaft an-
und ausrichten kann. Wie durch unsichtbare Kräfte angezogen, entschlüpfen meinen
Hirnwindungen also noch ein paar weitere Worte und gesellen sich zu den bereits
manifestierten Genossen. Auf wundersame Weise entsteht durch das Anwenden der
passenden Syntax sowie hinlänglich bekannter orthographischer Kenntnisse ein erster Satz.

Jetzt sollte man denken: Toll, ein ganzer Satz! Objekt, Subjekt, Prädikat! Das ist doch was.
Da gibt es doch nichts zu meckern. Mit so einem Satz kann man schon einiges bewirken.
Ein einzelner Satz kann Kriege auslösen respektive beenden, Kulturen in den Untergang
stürzen oder Paare in eine Ehe. Muss nicht mal lang sein – weder der Satz noch die Ehe.
Ein Single-Satz hat auch den Vorteil, dass er wahnsinnig gut auf ein kleines Plakat passt
beziehungsweise blitzschnell an eine Mauer gesprüht ist. Mehrere von ihnen machen einem
dagegen bereits echte Mühe, wenn sie denn unbedingt niedergeschrieben werden wollen:
Dem Verfasser tun die Handgelenke alsbald weh und dem bedauernswerten Leser mindestens
die Augen, wenn nicht gar der ganze Kopf. Ich sage es gerade heraus: Ich für meinen Teil
würde für die Beschränkung auf diese kleinen sprachlichen Einheiten plädieren. Statt
vierhundert Seiten zu füllen und den geneigten Leser mit allerlei Verstrickungen und
dramaturgischen Wechselbädern zu quälen, würde mein nächster Thriller dann möglicherweise
schlicht so klingen:“ Max mordet bei Witwe Bolte Hähnchen, will den Verdacht intrigant auf
Moritz lenken, terrorisiert den Schulmeister, kriegt ein paar vom Müller verpasst und wird
schließlich mit dem Kumpanen zusammen zu Mehl verarbeitet.“

Leider will mein Satz aber nicht so wie ich will. Einsam sei er, nutzlos fühle er sich,
Gesellschaft von Gleichgesinnten benötige er, sein Leben hänge davon ab, versucht er mir
weiszumachen. „Wenn du mich allein hier vegetieren lässt, kannst du mich auch gleich
löschen!“, droht er mir gar. Zuerst sträube ich mich ein wenig. Schließlich will man sich nicht
von den eigenen Sprösslingen nötigen lassen. Was denkt der sich: Eben noch unsichtbar und
machtlos in meinem Kopf und kaum draußen, schon stellt er Forderungen. Dabei ist mir in dem
Moment schon längst klar, dass er nicht lockerlassen wird. Nur der Form halber wehre ich
mich noch ein Weilchen.

Dann füge ich seufzend ein paar weitere Zeilen zur Gesellschaft hinzu, und schwups – ich
hab’s doch geahnt – stecke ich wieder mitten drin in einer neuen Geschichte, die sich mir
erzählt und notiert werden möchte. Den Punkt der anfänglichen, scheinbaren Harmlosigkeit
haben wir an dieser Stelle längst überschritten, sowohl arbeitstechnisch als auch inhaltlich.
Die ersten Leichen samt grausamer, heimtückischer Tötungsmethode haben bereits Erwähnung
gefunden beziehungsweise sind angedacht, die Autorin fragt sich, ob man vom exzessiven
Tippen ein Karpaltunnelsyndrom bekommen kann und das Lektorat beginnt im Schein der
ersten Morgendämmerung sicherlich intuitiv mit der obligatorischen Drängelei. Ich habe schon
eine halbe Seite geschrieben und mache trotzdem weiter. Schließlich verdiene ich ja meine
Brötchen, hin und wieder sogar zusätzlich die Butter, mit dem sinnvollen Aneinanderreihen von
Sätzen. Außerdem bin ich irrsinnig geil auf Anerkennung, die allerdings in diesem Stadium der
Produktion noch nicht absehbar ist, was das Ganze unerfreulich vage macht.

Nun gut. Die Sätze schmiegen sich also nach anfänglichen Diskrepanzen zwischen Autor und
Worten recht schön aneinander und tragen den Sinn wie auf kleinen Wogen in die Geschichte
hinein. Nach einigen Minuten lese ich, was ich bis dahin geschrieben habe. Meistens lese ich
vorsichtshalber halblaut, denn wie John Cusack schon im Film konstatierte: „Im Kopf klang’ s
irgendwie besser.“ Eher suboptimal wär’s, erst vor Lesungspublikum zu realisieren, dass es den
Kopf besser nie verlassen hätte. Daher halte ich auch stur an dieser Form der Rezitation fest,
die von meiner Familie auch gern mal abfällig als „brabbeln“ bezeichnet wird.

Oh nein, da sind die beiden Einschleicher wieder, dachten wohl, ich würde sie diesmal nicht
bemerken: Rhythmus und Melodie. Die haben doch in einem Prosatext gar nichts zu suchen!
Schließlich will ich meinen Roman später weder als Gedicht vortragen noch zum Klang der
Laute singen. Ein sicheres Gefühl sagt mir, dass der Leser dies ebenso sieht. Ein zweites,
nicht minder starkes, Gefühl sagt mir, dass ich stinksauer auf den ersten Satz bin, der mich
dazu verleitet hat, alle folgenden in genau dieser Art und Weise anzufügen. Ich fühle mich
überlistet und ausgenutzt. Am liebsten würde ich ihn streichen. Geht aber nicht so einfach,
weil er ja der Einleitungssatz und damit von größter Wichtigkeit ist, und das weiß er auch.
Aus dieser sicheren Position heraus sind Einleitungssätze daher im Allgemeinen ungeheuer
überheblich und von grandioser Selbstherrlichkeit, die nur noch von der Arroganz des
Schlusssatzes übertroffen wird.

Während ich meinen Singsang immer und immer wieder durchlese, etabliert sich sein Klang in
meinem Inneren Ohr. Ich merkte, wie mein Fuß anfängt, mitzuwippen und bin jetzt auch auf
ihn sauer. Verräterfuß! Aufstehen und herumlaufen könnte helfen. Ich gehe in die Küche,
koche die dritte Kanne Kaffee des Tages und beschuldige nun das Koffein, mir das alles
eingebrockt zu haben, da der ärgerliche Text ja kurzfristig nicht vor Augen ist. Dafür ist er
im Kopf – jedenfalls als musikalisches Gebilde. Ich begreife, dass ich das Kaffeepulver in einem
bestimmten Takt einfülle. Hilfe! Meine Lektorin soll mich in den Arm nehmen! Sofort, ganz fest!
Es ist drei Uhr nachts. Ich will sie trotzdem unbedingt anrufen. Sie wird mich unwahrscheinlich
anschnauzen. Ich lasse es.

Ich wecke stattdessen völlig rücksichtslos einen Mitbewohner auf – Ich bin schließlich
Künstler, unglaublich wichtig für die Welt und darf sowas – und schildere ihm in meiner
Verzweiflung sehr blumig, aufgeregt und ausschweifend die vermalledeite Situation. Er
grummelt: „Ist doch völlig egal!“ und pennt weiter. Am nächsten Tag wird er sich nicht
mal mehr dran erinnern können, dass ich ihn geweckt habe, geschweige denn an mein
Geschwafel. Also, zumindest wenn ich Glück habe. Ansonsten schnauzt er mich
unwahrscheinlich an und ich werde denken, dass ich auch meine Lektorin hätte
anrufen können.

Auch, wenn er gar nicht zugehört hat – vielleicht hat er ja trotzdem aus Versehen recht:
Vielleicht ist das mit dem Rhythmus und der Melodie wirklich „völlig egal“?! Quatsch, der hat
auch keine Ahnung von der Materie, wenn er wach ist. Ich hätte sowieso nicht auf ihn gehört.
Natürlich ist es schlimm. Die Beiden geben das Kommando an, bestimmen die Wortwahl,
kommen daher wie Leonard Bernstein im gestärkten Frackhemd vor den Wiener Symphonikern
und schwingen den Taktstock mit großer Geste. „Ich bin schließlich ein Satz… ein Satz… ein
Satz. Komponier mir eine ganze Suite!“, scheint jeder von ihnen zu quäken. Hier ein kleines
„Scherzo“ vermerkt, dort ein „Allegro con Brio“, und mein Text würde als klassisches
Musikstück wiedergeboren.

Natürlich wehre ich mich gegen diese Versuchung. Dies wird ein Thriller. Basta. Schlimm
genug, dass mich meine sprachlichen Handlanger bevormunden und mir den Nachtschlaf
rauben. Ich lasse mir Worte und Gedanken ihrerseits doch nicht auch noch von irgendeiner
dahergelaufenen Metrik diktieren. „Vielleicht schreibe ich zu dem Thema mal ein Gedicht oder
einen Songtext – irgendwann. Das klingt bestimmt hübsch“, versuche ich Madame Metrik
hinterlistig einzulullen, während ich nach einer Megadosis Koffein wieder über dem Text brüte,
aber meine leeren Versprechungen beeindrucken die Diva wenig. Schlampe!

Auch zum nächsten und übernächsten Satz, die ich mir mühevoll abringe und in den Rechner
eingebe, könnte Ian Paice ein wunderbares Solo trommeln.
„ICH bin der Herr meiner Texte“, wiederhole ich so lange in autogener Trainingsmanier, bis
die Affirmation dermaßen langweilig wird, dass ich freiwillig anfange, mir zu glauben. Dann
greife ich rigoros durch und beende den unfreiwilligen Exkurs in lyrisch-musikalische Gefilde
abrupt, indem ich den ganzen Kaffee an einem stillen Örtchen seiner letztendlicher
Bestimmung zuführe und erst einmal weiterschreibe, ohne den Anfang noch eines einzigen
Blickes zu würdigen.

Natürlich bleibt solch brachial-konsequentes Vorgehen nicht ohne Folgen fürs
Textgleichgewicht: Plumps, stolpert mein Text über diese fiese, gigantische Synkope, die sich
an der Nahtstelle ergibt, und liegt für mindestens fünf Sätze komplett auf der Nase. Das
schmerzt den Autor. Schließlich hat er seinen Text ja auch irgendwie lieb. Ist ja sein
Sprössling, new born baby, Schutzbefohlener. Verrenkt man sich also weiter das Hirn und
hilft dem nervigen kleinen Scheißerchen zurück auf die tapsigen Füße.

Aber kaum hat er sich wieder aufgerappelt und beginnt schön sinnig voranzulaufen, der kleine
Text, der noch sooo viel wachsen muss, recken die kleinen Störenfriede erneut ihre frechen
Köpfe zwischen den Worten empor und trachten danach, ihre eigene Ordnung zu etablieren.

Ihr ungebetenen lyrischen Gäste, wie werd’ ich euch bloß jemals los? Und wie klingt wohl mein
Thriller als Rap?

Leilah Lilienruh

 


  

Das Pärchen am Nebentisch

Kennt Ihr auch dieses „Pärchen am Nebentisch“? Also, jetzt legt mich nicht unbedingt
auf den direkten Nebentisch fest. Manchmal hocken die auch ein paar Meter weiter.
Sind auch nicht immer dieselben. Könnte noch nicht mal sagen, ob die meistens eher
jung oder schon etwas älter sind. Hetero sind sie auf jeden Fall immer. Glaube ich
zumindest. Und die hängen quasi ständig irgendwo rum, wo man sich an Tischen
gegenübersitzen und essen und trinken und reden kann.

Machen die auch. Ich meine: Die essen und trinken. Manche trinken auch nur was. Das mit
dem Essen ist jetzt nicht so wichtig für den Sachverhalt. Die Art der Location spielt auch
keine Rolle. Kann total rustikal sein mit toten Viechern und Gehörn an der Wand, also so
morbide, dass du praktisch schon satt bist, weil du das Gefühl hast, dass die Überreste deines
Menüs dir vorwurfsvoll beim eigenen Verzehr zugucken. Kann aber auch so richtig neumodisch-
schickimicki-mäßig daherkommen der Laden – eins von den Restaurants, wo man fürn halbes
Monatsgehalt die einzelne gefüllte Erbse an einem Hauch von irgendwas Französisch-
sprachigem serviert kriegt und zehn Minuten suchen muss, bis man sie unter einem
Basilikumblättchen entdeckt hat. (Okay, ich räume ein, dass das, was eine Freischaffende
Künstlerin unter “halbem Monatsgehalt” versteht, sich eventuell minimal von dem eines
Rechtsanwaltes oder einer Bankerin unterscheiden könnte…)

Heutzutage besitzen die allermeisten von denen, die ich meine, natürlich ein Handy, das dabei
gern als Requisit verwendet wird. Früher funktionierte die Situation allerdings auch ohne bzw.
man hat einfach eine Zeitung oder Zeitschrift zur Hilfe genommen.
Die sitzen sich da also je nach Tischgröße mehr oder weniger dicht gegenüber und sind ein
Paar. Woran man das erkennt? Na ja, man sieht’s eben. Gestus, Kleidungsstil, eventuell ein
Päckchen Haarfarbe geteilt, er futtert alles außer der Salatbeilage von ihrem Teller, wenn
seiner bereits leer ist, die gleichmütige Selbstverständlichkeit, mit der sie zufällige Berührungen
ignorieren (absichtlich berühren die sich nicht mehr nach dem Hinsetzen), die stumme Routine,
mit der sie sich per Kopfbewegung auf einen Tisch geeinigt haben.
Ja, und mit dem Adjektiv „stumm“ wären wir dann auch endlich bei der Kernkompetenz des
„Pärchens am Nebentisch“ angelangt: schweigen! Nicht, dass ich jetzt die ganze Zeit wie ein
Wasserfall quatschen müsste, wenn ich in charmanter Begleitung vor so ’nem leckeren Teller
„Spaghetti aglio e olio“ oder einem Käffchen sitze. Ich schätze durchaus die entspannte
Atmosphäre eines ausgedehnten Restaurantbesuchs mit einem unaufgeregten, gepflegten
Gespräch, bei dem das eine oder andere Bonmot sowie verheißungsvolle Blicke die Tischseite
wechseln… Hm, tja, bei denen wechselt aber nix, weder Wort noch Blick. Dabei können die
gucken, und wie die gucken können. Überallhin: auf die Bedienungen, in deren Ausschnitt, auf
die anderen Gäste, aufs Essen, das eigene und fremdes, in den Kaffee (he, muss interessant
sein, welche Erkenntnisse man beim fünfminütigen, starren Blick in eine halbvolle Tasse
lauwarmen Kaffees gewinnen kann), aufs Handy, nochmal aufs Handy, und nochmal, Sch…ße,
ist das alles spannend da auf dem Handy, auf den Werbeaufsteller in Tischmitte (wer bitte
braucht drei Minuten, um zu lesen, dass dienstags zwischen 15 Uhr und 17 Uhr jeder Cocktail
nur 4.50€ kostet… und wer trinkt eigentlich um diese Zeit Cocktails?), ins kostenlos
ausliegende Szene-Blättchen, aus dem Fenster (selbst, wenn’s draußen stockduster ist),
auf die kaputte Wanduhr mit Cola-Werbung drauf, auf die orange Klo-Tür, überallhin eben,
nur nicht in Richtung des Partners. Eher so ganz knapp dran vorbei. Und das sogar richtig
geschickt. Logisch, man muss halt tierisch aufpassen, wenn man mit Medusa liiert ist. Ein
falscher Blick und du erstarrst zu Stein, bevor es dich endgültig zerbröselt.

Und reden können die auch, diese eigenartigen Pärchen. Die bestellen ja schließlich verbal ihre
Speisen und Getränke. Bin auch schon mal aus Neugier zu so zweien rübergegangen und hab’
ganz scheinheilig gefragt, ob ich mal ihren Salzstreuer ausleihen dürfe. Dabei hatte ich nur
eine Tasse Kaffee. Haben beide wie aus einem Mund „Ja, klar!“ geantwortet und gelächelt.
Gesichtslähmung haben die also auch nicht. War aber in dem Moment sofort wieder weg das
Lächeln, als ich weg war. Denkste dir doch: „Au Backe, die armen Schweine müssen sich ja
eben zuhause derbe gezofft haben! Wahrscheinlich kein Teller mehr heil.“

Ist aber unlogisch, denn dann wären sie ja wohl nicht Hand in Hand zur Tür reingekommen und
würden auch nicht auf die gleiche Weise den Heimweg antreten. Andererseits: Routinemäßiges
Händchenhalten. Willste gar nicht. Geht nach ’ner Weile von selbst. Ein Automatismus aus der
Anfangszeit der Beziehung, als man sich noch leiden konnte und gern gegenseitig angefasst
hat. Zack, eingerastet. (Man munkelt, bei manchen Paaren würde auch der Sex irgendwann
nach dem Schema funktionieren.)
Wie auch immer. Das Pärchen am Nebentisch zieht das bis zum bitteren Ende durch, selbst
wenn es sich um ein Fünf-Gänge-Menü handelt. Mir würde schon bei der Vorspeise ein breites
Grinsen übers Gesicht huschen und ein alberner Spruch rausrutschen, weil ich gern lache und
noch viel lieber andere zum Lachen bringe. Einer der Gründe dafür, dass ich völlig ungeeignet
wäre für die Rolle der Frau des Mannes am Nebentisch. Ich würde das gar nicht durchhalten.

Wenn die wüssten, wie anstrengend das ist, wenn du dasitzt und einfach nur ganz in Ruhe
essen oder trinken willst und da hocken so zwei am Nebentisch, die dich durch ihr Verhalten
zu den wildesten Spekulationen über menschliches Miteinander und zu hochgeistigen,
philosophischen Exkursen zwingen. Eine Zumutung! Ruckzuck ist der Teller leer und die Zeit
vergangen, ohne dass man sich mit dem eigenen Gegenüber über eigene Themen austauschen
konnte. Ständig ging’s nur um die Zwei.
Ein Mysterium, dieses seltsame Pärchen am Nebentisch. Und immer ausgerechnet neben uns…

Leilah Lilienruh

 


  
Eimer sind Schweine
oder
Vom Versuch, ein Ding aus Plastik zu kaufen

Es gibt Dinge, die tun zum Schein so als ob sie total einfach wären und sind in
Wirklichkeit saumäßig schwierig. Die tun das nur, damit wir jedes Mal wieder drauf
reinfallen und uns im Supermarkt lächerlich machen… also, eigentlich nicht „wir“,
sondern mehr so ich allein und nicht nur im Supermarkt, sondern auch im
Bürgermeisteramt, im Restaurant, auf der… aber das gehört jetzt nicht hier her. Das
Ganze ist doppelt gemein, weil ich mich in letzter Zeit echt angestrengt habe, keine
hochgezogenen Augenbrauen und Lachsalven mehr bei meinen Mitmenschen
auszulösen!

Gestern zum Beispiel war ich in diesem Laden und wollte doch einfach nur einen Putzeimer
kaufen. Ja, echt, das habe ich mir zugetraut. Klang irgendwie einfach. Eimer nehmen, in
Wagen legen, zahlen, raus. Dachte ich. Bin ja naiv.
Konnte ja nicht wissen, dass die Drecksbande dermaßen zusammenhält – nein, nicht die
Verkäufer, sondern die Eimer. Stapelweise wurden die da in dem Geschäft dem kaufwilligen
Kunden dargeboten, schön ordentlich nach Farben und Größen sortiert. Ich war auch so
richtig kaufwillig. Wollte gar nichts Besonderes haben, einen Eimer zum Putzen halt, übliche
Größe, dezente Farbe, billig. Die wollten aber nicht gekauft werden.

Keine Ahnung, ob die Dinger sich erst so verkrampft haben, als ich mich dem Stand mit den
bunten Plastikbehältnissen genähert habe oder ob die schon vorher schlecht drauf waren.
Auf jeden Fall standen die da als wäre es die einfachste Sache der Welt, die Hand
auszustrecken und das oberste Exemplar herauszuziehen. Ich habe dann auch gezogen…
und wie ich gezogen habe! Vergebens – mein Wunschkandidat ließ sich einfach nicht von
seinem Untermann lösen. „Na gut“, dachte ich mir, „kein Problem. Man muss auch mal
nachgeben können. Dann schnappe ich mir eben einen mitten aus dem Stapel. Werden ja
wohl alle gleich sein.“ Okay, wenn das funktioniert hätte, würde ich jetzt nicht hier sitzen
und dies schreiben, wie Ihr Euch jetzt sicher schon denken könnt. Man sollte es nicht
glauben, aber da ließ sich tatsächlich auch nicht eine einzige Lücke auftun, ganz egal, wie
weit man sich nach unten im Stapel durcharbeitete. Ha, doch, da, endlich! Mit viel Mühe
gelang es mir nach gefühlten zehn Minuten den zweituntersten vom drittuntersten Behälter
zu trennen, indem ich den ein-Meter-hohen Stapel, der sich darüber türmte, vorsichtig vor
mir her an eine freie Stelle balancierte und dort zwischenlagerte. Dass sich die verbleibenden
beiden Exemplare partout nicht voneinander trennen wollten, muss ich nicht extra erwähnen?!
Ich sicherte mir also erst einmal beide, stellte sie beiseite und bugsierte den großen Stapel
zurück auf die Verkaufspalette. Bin ja ordentlich.

Ich weiß nicht, ob Ihr das nachempfinden könnt, aber wenn man erst einmal so viel Energie in
ein Projekt investiert hat, packt einen doch irgendwie der Ehrgeiz. Ich möchte es jetzt nicht
unbedingt als obsessiv bezeichnen, aber… na gut, von mir aus. Dann nennen wir es eben so.
Ich war auf jeden Fall wild entschlossen, den Laden nicht ohne einen der beiden verbliebenen
Eimer zu verlassen. Wäre doch gelacht, wenn man die Mistdinger nicht überlisten könnte…

Wer mich näher kennt, weiß, dass ich nicht nur auf hochdeutsch, sondern auch auf
südhessisch fluchen kann. Wer weiß, wie es klingt, wenn man auf südhessisch flucht,
möchte mich nicht näher kennen. Daher wiederhole ich an dieser Stelle nicht alle derben
Beschimpfungen, die die renitente Kunststoffware in den folgenden Minuten über sich
ergehen lassen musste. Irgendwann war ich mir völlig sicher: 'Ei, wolle die Lumbbeseckel
misch dann hier veraasche?! Dene, die wo des Gelärsch uffgestellt hawwe, dene hot's wohl
ens Hirn geraand. Die Dreggskiwwel sinn eindeitisch mid Sekundekläwwer zammegebabbt!'
Anders war das doch einfach nicht zu erklären.

Nachdem sämtliche Fingernägel abgebrochen waren, änderte ich die Strategie und klemmte
den unteren Eimer zwischen die Knie, während ich beidhändig am oberen zerrte, drehte und
rüttelte. Die Eimer bewegten sich indes auch nicht einen Millimeter voneinander weg.
Stattdessen bewegte sich allerdings meine Jeans, die vorher locker auf Hüfte gesessen hatte,
bedrohlich Richtung „Mittelerde“, so dass ich meine Gegner kurz beiseite stellen und mein
Ansehen retten musste. Dem Blödmann wenige Meter rechts neben mir, der seinerseits seit
Minuten versuchte, zwei Plastik-Papierkörbe auseinander zu kriegen und der mir jetzt mit
offenem Mund auf den nur noch halb verhüllten Hintern starrte, dachte ich noch ein
verächtliches „Ja doch, du Spanner, und der BH ist auch schwarz!“ hinüber und hopste drei
Runden im Kreis, um die Hose wieder an die passende Stelle zu kriegen. Jetzt grinste der
auch noch. Unwahrscheinlich witzig! Noch nie eine schwer arbeitende Frau gesehen?

Langsam wurde mir klar, dass diese Aufgabe hier meine Kräfte überstieg und nicht allein zu
bewältigen war. Für einen "Widder" nicht leicht zu verkraften! Jetzt hätte ich natürlich
einfach den Spanner fragen können, ob er „mal anpacken“ kann, aber das klang schon im
Kopf irgendwie komisch. Also hielt ich eine Weile Ausschau nach meinem eigenen Mann, der
in der Zeit den Einkaufswagen mit dem Wocheneinkauf gefüllt hatte. Tja, der hatte sich mal
wieder den leichten Teil der Arbeit ausgesucht! He, da hinten war er ja. Ich rief also durch
den halben Laden um "HILFE!!!" – war ja eh schon blamiert – und er erkannte sofort am
lieblichen Klang meiner Stimme, dass da wieder irgendwas schiefging. Also, nicht dass er
das von mir gewohnt wäre oder so…
Schnell war die Sache erklärt und er meinte nur seufzend: „Dann halt mal fest.“ Ich hielt das
untere Exemplar artig fest und er zog am oberen. Natürlich passierte gar nichts. Wäre jetzt
auch superpeinlich gewesen, wenn er einfach einmal locker gezogen und das Teil in der Hand
gehabt hätte. Er zerrte also fester. Ich hielt gegen. Na ja, sagen wir mal so: Ich hab’s
probiert. Ehrlich! Jetzt muss man dazusagen, dass ich „ein wenig“ leichter bin als mein Mann
und ein klitzekleines Bisschen weniger Kraft habe. Genau genommen sah das dann so aus,
dass er mich an zwei scheinbar untrennbar miteinander verbundenen Plastikeimern hinter sich
her durch den Laden gezogen und in regelmäßigen Abständen „Festhalten!“ ausgerufen hat.
Das ist derselbe Mann, der mir in seinem Kraftraum mit den Worten "Halt mal eben!" zwei neue
Hantelscheiben à 25 Kg in die Hände drückt und sich kaputtlacht, wenn ich nach vorn umfalle
wie ein Brett...

Hat jedenfalls alles nichts genützt. Auch nicht, dass er mir persönlich demonstriert hat, wie
ich mich gewagt mit beiden Händen am Eimer nach hinten entgegenstemmen soll. Sah aber
interessant aus.
Nach dem fünften oder sechsten Versuch fanden wir dann, dass wir die Besucher des
Einkaufsmarktes genug für einen Tag mit diesem skurrilen Schauspiel unterhalten hätten und
kriegten einen netten Lachanfall, der auch noch die letzten Kunden auf die beiden Deppen
mit den Eimern aufmerksam machte.
„Siamesische Eimer!“, dachte ich noch, als er losließ und ich sie zu ihrer bekloppten Eimer-
Sippe zurückstellen wollte. Und was passiert genau in dem Moment: Es macht kaum hörbar
„plopp“ und ich habe zwei Einzelexemplare in der Hand!

Ich habe dann beide gekauft. Wer weiß, wann ich es mal wieder schaffe, einen Eimer im
Geschäft von den anderen zu lösen. Im Auto haben wir sie später aus Platzgründen wieder
ineinandergestellt…

Leilah Lilienruh

 


  
Durchgebrannt

Schäme mich ein bisschen. Sie sind mir vorhin durchgebrannt. Beide. Der
 Kunststoffsiphon im Badezimmer meiner Söhne und das Teufelchen. Der Siphon
ist endgültig im Eimer, beim Teufelchen bin ich mir noch nicht so ganz sicher.

Hab's ja nur gut gemeint. Wollte den Abfluss frei machen und habe Rohrreiniger reingekippt.
Die gute Nachricht zuerst: Ich habe nichts abgekriegt. Die weniger gute Nachricht: Mein
Freund Nash hatte recht. Ich habe wirklich ein seltsames Verhältnis zu allem, was glüht.
Aber woher soll ich denn auch wissen, dass Rohrreiniger in Verbindung mit Wasser eine
dermaßene Hitze entwickelt. In Chemie war ich nie eine Leuchte. (Dafür haben mein
Banknachbar und ich verdammt viele Schiffe auf den Meeresgrund befördert und tolle
Galgenmännchen gezeichnet.) Gut, ja, okay, ich hätte die Anleitung auf der Flasche lesen
können, aber wer liest schon diese blöden Warnhinweise. Irgendwelche gruseligen Symbole
mit einem Text daneben, der den potenziellen Anwender derart in Angst und Schrecken
versetzt, dass er auf die Anwendung verzichten möchte. Außerdem erfüllen diese Texte in
literarischer Hinsicht nicht einmal die Mindestanforderungen. Unlogisch sind sie auch: "Wenn
Produkt in Augen gerät, unverzüglich mit Wasser ausspülen!" Na toll: Wenn Produkt in Augen,
dann ich Schmerzen und laut schreien, nix mehr finden Wasserhahn und schon gar nicht
aufdrehen kann, weil ätzende Dämpfe sich aus Rohr aufsteigen tun. Also ehrlich, muss in der
Zeitung schon genug Schrott lesen. Da belästige ich meine Augen doch nicht auch noch mit
sowas.
Mein Mann meinte lakonisch: "Wäre besser gewesen, wenn doch." (Und noch zynisch
hintendran: "Wer lesen kann, ist klar im Vorteil." Hätte er sich schenken können. In dem
Moment habe ich mich ja bereits geschämt.)
Das Problem bei dem Rohrreiniger war allerdings weniger die Qualität als die Quantität.
Dachte mir: 'Na, wenn ich die kniffelige Kindersicherung jetzt schon mal aufgekriegt habe,
haue ich auch ordentlich was rein in den Abfluss!' Irgendwo im Hinterkopf hatte ich zwar,
dass man jedes Mal nur einen Esslöffel voll verwenden soll... aber ob nun einer oder acht...
das ist ja nun auch nicht sooo ein großer Unterschied.
Dachte ich. Bis es aus dem Ablauf so lustig zu qualmen begonnen hat. Gerochen hat's auch
total anders als sonst. Das war schon irgendwie unheimlich. Habe dann vorsichtshalber erst
mal beschlossen "Aus den Augen, aus dem Sinn" und die Tür von außen zugemacht. Nach drei
Minuten fand ich dann aber, dass ein dezenter Hinweis an meinen Schatz durchaus angebracht
sei. Komischerweise hatte er es wahnsinnig eilig, ins betreffende Badezimmer zu kommen,
obwohl ich angedeutet hatte, dass er sich "nicht über den Anblick freuen" würde. Wie
erwartet hat er sich dann auch nicht gefreut, sondern sein in solchen Fällen obligatorisches,
liebevolles "Mensch, Mädel, bist du bescheuert?!" zwischen den halb geöffneten Lippen
hervorgepresst. Ich glaube, er hatte einfach Angst, den Mund wegen des ätzenden Qualms
weiter zu öffnen. Hatte den Vorteil, dass er nicht schreien konnte. Ich war auch ziemlich froh,
dass er das gesagt hat, weil er das immer dann sagt, wenn er noch nicht so richtig sauer ist,
sondern mehr besorgt. Ich mag's, wenn jemand sich Sorgen um mich macht. Das fühlt sich
schön an.
Hab' ihn dann mit weit aufgerissenen Augen so ein bisschen unterwürfig-reuig von unten
angeschaut, damit er merkt, dass ich mich bereits ordentlich schäme. (Sollte non-verbal
ausdrücken: 'Hast du mich jetzt überhaupt noch lieb... wenigstens ein klitzekleines Bisschen...
jetzt, wo ich dieses wunderbare, wertvolle, höchstens fünfzehn Jahre alte Plastikdingsbums
aus purem Übermut zerstört habe???') Ich hätte durchaus auch ein paar Tränen kullern lassen
können. Halbwegs echte Tränen. Das Zeug hat ja dermaßen in den Augen gebrannt!
Aber das fand ich dann selbst too much. Außerdem hatte er den Hundeblick ja längst kapiert,
genuschelt "Is ja gut!" und war bereits auf dem Weg, Putzzeug und Handschuhe zu holen,
denn inzwischen war das Plastikrohr durchgebrannt und die Plörre lief übern Fußboden. Wir
haben dann gemeinsam die Sauerei beseitigt und im Duett geflucht, er auf nord-, ich auf
südhessisch. So eine gemeinsame Fluchorgie verbindet ungemein. Wahnsinnig erfrischend für
jede Beziehung. Man kann mal so richtig Dampf ablassen und über tote Gegenstände
herziehen, die keine Widerworte geben. Und dieser Siphon war echt sowas von tot!
(He, wow, man kann Kunststoff durchschmelzen, ohne eine Flamme dranzuhalten!)
Apropos Dampf: Meine Lunge war schon lange nicht mehr so frei. Gut, es schmerzt jetzt ein
wenig beim Atmen, aber das Zeug haut echt voll rein. Kaum hatte ich den ersten Zug intus,
da hat sich schon das Teufelchen auf meiner linken Schulter gemeldet und angemerkt, dass
es doch sicher Spaß machen würde, verbotenerweise an Karfreitag zu tanzen. Der Gedanke
gefiel mir plötzlich auch sehr gut. Selbstverständlich würde ich nieee etwas Verbotenes tun,
nein, wirklich nieeemals. (Zählt das Tanzen am Karfreitag eigentlich als Ordnungswidrigkeit
oder als Straftat?) Und das Engelchen auf meiner rechten Schulter hat auch strikt davon
abgeraten. Aber ehe ich mich versah, hatte Teufelchen sich bereits wild tanzend und
headbangend auf und davon gemacht. Ich hörte es noch vor der Haustür "Whole lotta love"
gröhlen. Nun isses weg. Hoffe nur, die haben es nicht eingebuchtet, denn ohne Teufelchen
habe ich einfach nicht so geniale Einfälle wie den mit dem Abflussreiniger... ;-)

Yeah!

Nachtrag:

Teufelchen ist wieder da! Zwei offensichtlich leicht entnervte, uniformierte Herren haben's
eben wiedergebracht. Einer von den beiden konnte sprechen und hat mich dahingehend
belehrt, dass ich für mein Teufelchen verantwortlich sei. Keine Ahnung, was es so alles auf
der Wache angestellt hat, aber er hat es mir mit den Worten "Nehmen sie's zurück, in Gottes
Namen!" in die Hand gedrückt. Es hat derweil kräftig gezappelt und versucht, ihm in die Finger
zu beißen und ich habe betont streng gesagt: "Pfui Teufel!"... wegen der Verantwortung und
so. 
Statt eine Diskussion mit dem Polizisten darüber anzufangen, dass seine letzte Äußerung
angesichts des verhafteten Zwergteufels doch irgendwie ein wenig widersinnig sei, habe ich
vorsichtshalber lieber kräftig geschleimt und tüchtig das "sexy Outfit" der Herren gelobt -
vor allem die metallischen Accessoires. Hab' mir auch die Frage verkniffen, warum sie im
Gegensatz zu mir jeweils zwei Teufelchen und keine Engelchen besitzen würden und warum
ihre Exemplare so grantig dreinschauen.
Engelchen und Teufelchen (meine beiden) lagen sich derweil schon prustend vor Lachen auf
meiner Schulter in den Armen. Teufelchen quäkte dabei ständig: "Ich bepinkel mich gleich!",
Engelchen quiekte zurück: "Ich hab' schon!" und ich dachte: "Na, super!".
Jetzt hockt Teufelchen wieder auf seiner Seite, versucht krampfhaft die Kindersicherung
vom Rohrreiniger zu knacken und brüllt "Keine Macht für niemand!" in mein Ohr. Also, ohne
ihn war's eindeutig ruhiger bei mir, aber auch irgendwie... scheißlangweilig.

Leilah Lilienruh

 


  

Peterpanisch?!

Old enough to know better - too young to care!

Ich bin schon ein großes Mädchen! Wirklich!
Ich kriege meine Schnürsenkel mit etwas Anstrengung ganz allein gebunden, bekleckere
mich und andere nur noch selten mit Schoko-Pudding und die Sicherheitsleute in meinem
Lieblingsclub wollen partout nicht mehr meinen Ausweis sehen, um zu überprüfen, ob ich
wirklich schon 21 bin. (Dabei würde ich durchaus mal ein Scheinchen rüberwachsen lassen,
wenn sie danach fragen täten…schön laut, versteht sich, damit man es auch noch am Ende
der Warteschlange hören kann!) ;-)
Selbstständig denken und sprechen kann ich auch schon. „Selbstständig“ in der alten und
der neuen Rechtschreibung! Manchmal sogar in ganzen Sätzen. Manchmal auch von einer
Bühne runter oder schriftlich, und zuweilen bringe ich so viele Worte zusammen, dass ich
damit glatt ein dickes Buch fülle. Das mit dem Denken und Sprechen beherrsche ich übrigens
recht gut auf englisch, mittelgut auf französisch, ganz passabel auf hochdeutsch und fließend
auf südhessisch und sarkastisch.
Und obwohl ich nun also nachweislich ein großes Mädchen und des Sprechens mächtig bin,
hat unlängst eine Person, die ich persönlich gar nicht kenne, bei meiner Frau Mutter (!)
angefragt, wann ich denn gedenken würde, „nun endlich mal erwachsen zu werden“. Als ob
die arme, alte Frau jetzt auf einmal wissen und sich dafür interessieren könnte, was ihre
Tochter tut, denkt oder gar fühlt! Per se schon mal eine absurde Idee!
Aber es war schon ganz gut so, dass die Person mich nicht selbst gefragt hat, denn
schließlich haben meine Kinder mir streng verboten, mit eigenartigen Fremden zu sprechen
oder gar in ihre Diskussion einzusteigen, die am Ende wer-weiß-wohin fährt... ähm, führt.
Wahrscheinlich hatte die Person auch ein bisschen Angst vor mir. Dabei warne ich Leute, die
mir saudumme, unverschämte Fragen stellen, doch mit einem deutlich vernehmbaren Knurren
vor, bevor ich zubeiße… meistens.
By the way: Falls so ein schmieriger, pickeliger Feuilleton-Redakteur schreiend an Euch
vorbeirennen sollte, könnt Ihr ihm zurufen, dass er jetzt stehenbleiben kann. Erstens bin
ich eh schneller als er und zweitens weiß ich, wo er wohnt. Hmm, echt keine Ahnung, warum
der sich so anstellt: Ein bisschen Bier auf dem Kopf ist doch nicht so tragisch, soll sogar gut
für die Haare sein… Oh, mein Verleger hat gerade zu bedenken gegeben, dass man den
Bierseidel dazu entleert und nicht mitbenutzt. Das erklärt eventuell einiges.
Dass ich es nicht leiden kann, wenn man mir saudumme, unverschämte Fragen stellt, hatte
ich bereits erwähnt, oder?!

Wie auch immer – was das Erwachsensein betrifft: Jep, ich glaube noch an Feen, ganz fest,
ganz fest. Will ja schließlich nicht verantwortlich dafür sein, wenn so’n armes Ding plötzlich
verreckt, tot vom Himmel stürzt (womöglich auch noch genau auf den schmierigen Feuilleton-
Redakteur) und der ganze Glitzerstaub im Eimer ist.
Und jahaa, ich zähme mir manchmal einen blauen Schmetterling (die grünen funktionieren nur
leidlich) und fliege mit ihm nach Nimmerland, um ein bisschen mit meinem Kumpel Peter und
den verlorenen Jungs abzuhängen. Und wenn ich ihnen nur schnell eine Schüssel Schoko-
Pudding vorbeibringe. Ist doch schließlich allein der gute Wille, der zählt. (Sorry, Jungs,
der Schoko-Pudding geht aber in der Waschmaschine leicht wieder ab.) Da lebt auch so
ein alter Sack, der ständig mit dem Erwachsenwerden droht.
Mag sein, dass manch einer das ein wenig merkwürdig findet, aber ich habe das Thema
ausgiebig mit meinem Engelchen und meinem Teufelchen diskutiert und wir drei sind
ausnahmsweise total meiner Meinung: Zu viel Vernunft bedingt vorzeitiges Erwachsenwerden,
und das wiederum macht bekanntlich irgendwann alt, was seinerseits in den meisten Fällen
früher oder später unausweichlich zum Tod führt.
Wir finden es auch völlig okay, ab und zu das Fenster aufzumachen und den einen oder
anderen Song von den „Scherben“ hinauszugröhlen. Ist doch nicht unsere Schuld, wenn
sich immer einer von dem Wort „Sklavenhändler“ angesprochen fühlt.

Ach ja, und um die eklige Kernfrage zu beantworten: Eventuell am 1. April 2050 zwischen
7.35 Uhr und 7.45 Uhr… falls ich da nicht gerade einen heftigen Peterpanik-Anfall bekomme,
wovon ich allerdings ganz stark ausgehe, so wie ich mich kenne.

Leilah Lilienruh
 


  

Das große Fressen

Ich möchte Euch heute gern die Geschichte von meinem Brechreiz erzählen. „Ja
lecker!“, werdet Ihr jetzt vielleicht denken: „Was interessiert mich der Brechreiz
anderer Leute?! Ich finde mein ganzes Leben zum Kotzen!“ Das mag ja sein, aber
lest doch einfach erst einmal weiter. Vielleicht könnt Ihr dann ja schmunzeln und
sei es nur aus Schadenfreude.
Ist mal wieder eine wahre Geschichte, wie Ihr Euch schon denken könnt, denn wer
liefert mir immer wieder die skurrilsten Satiren: das Leben.
Genau genommen WOLLTE ich die Geschichte auch nie wirklich erzählen, sondern
ich MUSSTE einfach, weil sie mir sonst die ganze Zeit vor meinem Inneren Auge
erschienen wäre und eben dieses Würgen im Hals verursacht hätte. Sobald die
Bilder aber im Autorenhirn zu Worten verarbeitet und aufs Papier gebannt sind,
können sie nicht mehr im Kopf herumgeistern und die Autoren-Übelkeit lässt nach,
um den Leser zu befallen.

Also, die Sache war folgendermaßen: Eines Tages vor mehreren Jahren saßen wir, meine
Familie und ich, recht gemütlich zu Hause beisammen und überlegten, welches hübsche
Städtchen im Umkreis von etwa 100 Kilometern wir noch nicht kennen würden. Keine leichte
Überlegung, da wir sehr gern schöne Orte besichtigten und bereits viele gesehen hatten.
Irgendwann ließ einer unserer Teenager augenzwinkernd und mit einem breiten Grinsen im
Gesicht den Namen „Rotenburg an der Fulda“ fallen. „Ja, was gibt es denn da zu grinsen?!“,
werden sich jetzt viele fragen. Die Hessen unter den Lesern wissen bescheid: Da kommt der
so genannte „Kannibale von Rotenburg“ her, vor einigen Jahren zu trauriger Berühmtheit
gelangt.
Wer nun aber voreilig die Gedankenbrücke von meinem oben erwähnten Brechreiz zum
Kannibalen schlägt, ist auf dem Holzweg. Man mag es nicht glauben, aber es gibt durchaus
Erlebnisse alltäglicher Art, die zumindest vom Ekelfaktor her nahe an solche Abartigkeiten
heranreichen.
Um die Geschichte abzukürzen: Wir beschlossen also, das nette Städtchen im Norden Hessens
zu besuchen und setzten das Vorhaben gleich am folgenden Wochenende in die Tat um. Das
Gute vorweg: Rotenburg ist wirklich zauberhaft. Es besitzt eine sehr sehenswerte Altstadt,
idyllische Parks, kulturelle Sehenswürdigkeiten und natürlich einen romantischen Blick auf die
Fulda.
Und Rotenburg besitzt auch ein paar gute Restaurants. „Auch okay!“, denkt man jetzt. Klar
ist das okay, sogar mehr als nur „okay“, wenn man nach einer längeren Besichtigungstour
Kohldampf und Blasen an den Füßen hat. Das einzige Problem waren die Gäste oder besser
gesagt der Gast. Neeeein, nicht der Kannibale! Ach Leute, der sitzt doch im Gefängnis und
beißt keinen mehr.

Damit Eure sensationslüsterne Fantasie nicht weiter mit Euch durchgeht: Ich werde Euch
jetzt die Geschichte von der unglaublich großen Pizza und dem unglaublich hungrigen, dicken
Mann erzählen.
Wir Fünf waren zuerst im Restaurant – er war zuerst fertig. Kein Problem, wenn man nur ein
Süppchen oder einen winzigen Beilagensalat verzehrt, ein bizarres Stück Ess(un)kultur, wenn
es sich um eine Portion jener Ausmaße handelt.
Als der betreffende Herr mit seiner zierlichen Frau das Lokal betrat und direkt an unserem
Nachbartisch Platz nahm, hatten wir alle noch heimlich Mitleid mit ihm, denn das Bewegen fiel
ihm sichtlich schwer und es schien nicht leicht für ihn zu sein, halbwegs bequem an den Tisch
heranzurücken. Dann allerdings gab er lautstark seine Bestellung auf, die mit den Worten:
„Ihre größte Pizza ist viel zu mickrig. Ich nehme das Blech…!“, begann. Unsere Köpfe flogen
herum.  Der meinte das ernst!
Während wir unsere Nudelportionen und Salate etwa bis zur Hälfte aßen, wurden die Speisen
für den Nachbartisch bereitet und schließlich herangeschleppt: eine normale Pizza für die
Dame, ein Blech voll Pizza auf ein Holzbrett umgepackt für den Herrn, dazu eine kleine Cola-
Light für die Dame und eine Halbliter-Vase richtige Cola für den Herrn.
Wirkte noch lustig das Ganze, vor allem wie der kleine Tisch so ächzte unter dem Ballast.
Das Blumenväschen samt Inhalt sowie Kerze und Speisekarte wurden vom Kellner aus
Platzgründen auf andere Tische ausquartiert. Jaaa, bis dahin sah’ s noch lustig aus…
Aber dann hat er angefangen zu… zu… ähm… ja, wie sagt man jetzt dazu?… essen?...
mampfen?... stopfen?... völlen?...

Mein jüngster Sohn liebt Pizza. Nun saß er da mit offenem Mund, den aktuellen Bissen noch
ungekaut auf der Zunge, und starrte mit aufgerissenen Augen hinüber. Man starrt andere
Leute nicht an. Nachdem ich selbst ausgiebig gestarrt hatte, ist mir das wieder eingefallen
und ich habe erst mal dem Kleinen unterm Tisch auf den Fuß getreten. Der stieß daraufhin
hervor: „Moma, hascht du dasch geschähen?!“ Mein Sohn hatte zum Glück keinen
Sprachfehler, sondern nur schlechte Manieren und einen vollen Mund. Und obwohl der
Herr am Nachbartisch das vermutlich nicht so gut wie ich übersetzen konnte, da er
meinen Sohn nicht mit vollem Mund redend kannte, trat ich ihm gleich noch mal auf
den Fuß - meinem Sohn, nicht dem Herrn.

Man konnte dem Kleinen keinen Vorwurf machen. Wer kennt das nicht: Manchmal kann
man einfach nicht weggucken, auch wenn’ s einen schüttelt. Ich fürchte, das traf an
diesem Abend auf uns alle zu. Mich würgte es zudem, wie oben bereits angekündigt, bei
diesem Anblick im Hals, so dass ich schlagartig ein starkes Sättigungsgefühl verspürte.
Der dicke Herr nebenan ganz und gar nicht.
Da wurde gestopft und geschoben und geschmatzt. Breite Fettbäche liefen ihm aus den
Mundwinkeln auf die Stoffserviette, die er auf seinen Knien ausgebreitet hatte. Sein rotes
Gesicht mit den Hängebacken und dem Mehrfachkinn, das in den Brustkorb überging, war
schweißüberströmt und man konnte ihn deutlich schlucken hören. Für ein Gespräch mit seiner
Begleiterin, die lustlos in kleinen Bissen ihre Pizza verzehrte und zwischendurch ab und zu an
ihrem Getränk nippte, waren augenscheinlich keine Kapazitäten frei.
Stück für Stück verschwand die Pizza in seinem riesigen Leib, und noch bevor wir unsere
normalen Portionen geschafft hatten, war er fertig, lehnte sich zurück und hob die Hand zum
Zeichen: „Kellner, die Dessert-Karte!“ Eilig kam der Ober angelaufen und überreichte die Karte.
Ein Käffchen zum Abschluss geht immer, mag man jetzt denken. Der dicke Herr wollte natürlich
kein „Käffchen“, sondern „eine Kanne Kaffee und ein Stück Schokoladen-Torte, aber ein
anständig großes Stück!“.
Die Wartezeit aufs Dessert galt es sinnvoll zu überbrücken. Der Herr wendete sich also der
halben Pizza zu, die seine Dame noch auf ihrem Teller mit Messer und Gabel bearbeitete und
gönnte sich das eine oder andere Stück davon. Einen Moment später fragte er: „Isst Du das
noch?“ und bugsierte ihren Teller, ohne eine Antwort abzuwarten, schon mal vorsorglich auf
seine Seite. Sie reichte ein mattes „Nein“ von ihrer Tischseite nach.
Rechtzeitig zum Eintreffen des Desserts war dann auch ihre Pizza bis auf den letzten Krümel
von ihm verschlungen. Torte und Kaffee folgten dem Weg des Hauptgerichtes.
Der Herr wischte mit der Serviette zufrieden die Überreste der Essensschlacht von Gesicht
und Händen ab, zahlte und befahl seiner Dame: „Dann komm!“ Weg waren sie.
Und wir saßen vor dem Käffchen an unserem Tisch und starrten sprachlos hinterher bis
unser Kleinster sich endlich wieder gefangen hatte und ungebremst lautstark hervorstieß:
„Mamaaa, hast Du das gesehen!?????“

Leilah Lilienruh


 


  

Der Tod des kleinen Kritikasten

Ach, es ist ein Jammer! Er hätte einmal ein ganz Großer werden können: Literat,
Literaturkritiker oder gar Olympiaschwimmer – wäre ihm meine Tochter nicht begegnet.
Man kann sagen, sie hat ihn entdeckt, und sie war auch sein Untergang. Oh, welche
Grausamkeit der Jugend! Dabei war er gerade so vollkommen in seinem Element, umgeben
von feinstem Buchstabenmaterial, eifrig bestrebt, zu neuen, unbekannten Ufern zu gelangen.
Worte waren seine ganze Welt, sein Milieu und letztendlich auch sein Ruin. So gesehen war
er im Grunde genommen eine verlorene Literatenseele wie wir alle – nur eben mit dem
Unterschied, dass meine Tochter seinen Untergang noch ein wenig beschleunigt hat.

Ereignet haben sich die dramatischen Geschehnisse in familiärer Runde direkt an unserem
Esstisch. Wir saßen plaudernd beisammen und löffelten eine, wie mir versichert wurde recht
schmackhafte, Gemüsesuppe. Meine Tochter hatte den Platz zu meiner Rechten inne und tat
sich an der warmen Mahlzeit gütlich. Mit einem Mal aber stockte sie mitten in der Bewegung,
balancierte den gefüllten Löffel in geringem Abstand vor ihren Augen und betrachtete verdutzt
die Suppeneinlage: "Ja, was haben wir denn da?!"
Selbstverständlich schauten wir alle sofort in ihre Richtung, hegt man doch in größeren
Familien stets die Befürchtung, benachteiligt zu werden. Sollte sie etwas gekriegt haben,
nach dem es uns Anderen gelüstet?
Und so entwich ihrem jüngeren Bruder auch auf der Stelle ein neidisches "Ooh!", als er die
Quelle des Erstaunens entdeckte: Direkt in der konkaven Vertiefung des Essbestecks hockte
im Schneidersitz mit gekreuzten Armen ein kleiner Herr. Er trug einen blau-weiß-geringelten
Badeanzug im Stil der neunzehnhundertzwanziger Jahre sowie einen roten Schwimmreifen
und ebensolche Schwimmflügel und schaute meine Tochter recht vorwurfsvoll an.
Auf seinem Kopf lag ein "R", was daran lag, dass die Suppe nebst Erbsen und jungen Möhren
eben auch Buchstabennudeln enthielt.
Man sollte annehmen, dass so ein winziger Herr mit seinen klitzekleinen Stimmbändern auch ein
dünnes Stimmchen hat. Der Herr aus der Suppe jedoch begann plötzlich so lautstark zu
schimpfen, dass meine Tochter ihn beinahe verschwappt hätte: "Was für ein überaus
unschickliches Benehmen, junge Frau! Merken Sie nicht, dass ich nur spärlich bekleidet bin und
friere?! Ich bestehe darauf, dass Sie mich augenblicklich in meine Suppe zurückbefördern!!!"

Nun ist meine Tochter allerdings auch nicht auf den Mund gefallen, und so konterte sie
prompt: "Diese Suppe gehört immer noch mir! Setzen Sie Ihre Schwimmübungen gefälligst
woanders fort!"
Um die Sache abzukürzen, und da sich eine detaillierte Wiedergabe des darauffolgenden
Wortwechsels nicht gehören würde, überspringe ich diesen. Man warf sich jedenfalls allerlei
Namen, vorzugsweise größerer Tiere, an die Köpfe, debattierte über die Literatur im Wandel
der Zeiten und über den Stand der Kunst im Allgemeinen - wobei sich meine Tochter,
ihrerseits Kunsthistorikerin, tüchtig über die "antiquierten Vorstellungen" des geringelten
Herrn ereiferte - und brachte sich gegenseitig offensichtlich keinerlei Sympathie entgegen.

Als der kleine Herr schließlich zu einer verächtlichen Rede über die Werke Rilkes ansetzte,
verließ meine sonst so liebreizende, gutmütige Tochter endgültig die Contenance und sie ließ
ihn einfach aus dem Löffel zurück in den Suppenteller plumpsen. Umgerechnet hätte die
Fallhöhe sicherlich dem Zehner im Schwimmbad entsprochen.
Es dauerte etwa drei Sekunden, bis der kleine Herr sich erholt hatte und zwischen einer Möhre
und einem Rudel "K"s und "F"s wieder auftauchte. Jetzt hätte er einfach nur schweigen, zum
Tellerrand schwimmen und das Weite suchen müssen. Doch er begann sofort wieder von Rilke.
Da griff sie zum Löffel, ein grausames Lächeln auf ihren sonst so sanften Zügen… und tauchte
ihn unter. Noch zwei Mal erschien sein Händchen über der Suppenoberfläche, Zeige- und
Mittelfinger zum Victory-Zeichen ausgestreckt. Einige letzte Luftbläschen stiegen nach oben.
Dann war Ruhe im Teller.
Meine Tochter löffelte ihre mittlerweile abgekühlte Suppe erst einmal genüsslich aus, bevor wir
ihn am Tellergrund unter einem kleinen Berg "G"s, "P"s und einem einzelnen "O" wiederfanden,
das sich wie ein Heiligenschein um seinen Kopf gelegt hatte.

Nun frage ich mich nur, wie wir ihn bestatten sollen: Kompost, Biotonne oder Sondermüll? War
ja schließlich ein ganz schöner Giftzwerg, dieser kleine Kritikast.

Leilah Lilienruh
 


  
Katzenklo und Fischmenü

Ich mag Katzen. Doch wirklich! Ich behaupte das nicht nur, weil die Abneigung gegen
Hauskatzen hierzulande in breiten Kreisen mit der völligen Abwesenheit jeglicher
Herzenswärme, seelischer Grausamkeit und latenter Bereitschaft zur Tierquälerei
gleichgesetzt wird. Nein, auch wenn es nach dem etwas unglücklich verlaufenem
Zusammentreffen mit einem gewissen impertinenten Känguru nicht so wirken sollte:
Ich mag die meisten Tiere, die mich noch nicht gebissen, getreten, gekratzt oder
rhetorisch ausgetrickst haben - aber Katzen mag ich ganz besonders.

Warum auch nicht?! Sind ja niedlich anzusehen mit ihren samtigen Pfötchen, kleinen Näschen
und lustigen Bärtchen. Mal ehrlich, wie außerordentlich ich sie schätze, merkt man doch schon
allein daran, dass ich diese ganzen, beliebten wie überflüssigen „Chen“s an ihre körperlichen
Merkmale anhänge. Würde ich das wohl tun, wenn ich sie aus tiefster Seele verachten würde?!
Okay, ja, durchschaut: ich würde, aber auf meine besondere Beziehung zu Verniedlungsformen
gehe ich an anderer Stelle noch einmal intensiver ein.

Trotzdem: Sie sind irgendwie goldig, und nützlich sind sie ja auch noch. Na ja, früher waren
sie das jedenfalls, damals als sie sich noch nicht vor Mäusen geekelt haben, weil sie sich
nämlich von ihnen ernähren mussten und sich nicht den menschlichen Luxus der Präferenzen
und Aversionen bei der Essensauswahl erlauben konnten. Gut, aber das war auch jene Zeit,
als manch ein Mitteleuropäer den Inhalt so einer heutigen Katzenfutterdose mit eigenen
Zähnen und Klauen gegen jede Katze verteidigt  hätte, um ihn anschließend genüsslich mit
seiner Familie als Sonntagsmahl zu vertilgen.
Ich hatte sogar selbst mal eine Katze. Die war richtig klasse: weiß mit schwarzen Flecken.
Sah aus wie eine Mini-Kuh. Wenn sie auf dem weißen Flokati gelegen hat, konnte man nur
noch die Flecken sehen und hat geglaubt, man müsste den Läufer  mal wieder ordentlich
ausklopfen. Ach niedlich, echt. 

So, ich dachte, ich beteure zu Beginn vorsichtshalber in epischer Breite, dass ich nichts
gegen Katzen habe. Man muss heutzutage immer darauf achten, Sozialkompetenz, vor allem
in Form von Empathiefähigkeit, zu beweisen. Falls Sie in ihren letzten Bewerbungsschreiben
vergessen haben sollten, Ihre soziale Intelligenz gebührend in den Vordergrund zu rücken,
müssen Sie sich also nicht über ablehnende Reaktionen wundern! Diese Befähigung gehört
gleich in die Zeile unter den Harvard-Abschluss, die fertiggestellte Doktorarbeit (nur
empfehlenswert, falls Sie selbst daran mitgewirkt haben oder einen verdammt gewitzten
Ghostwriter hatten) und die ausgezeichneten chinesischen Sprachkenntnisse.
Ohne Kenntnisse übers Zwischenmenschlich-Psychologische - rein theoretische Kenntnisse
reichen hier völlig aus - läuft ja beruflich inzwischen gar nichts mehr, auch als Schriftsteller,
gerade als Schriftsteller. Selbst dann, wenn ganz groß Satire an einer Satire steht.

Und nicht, dass mich jetzt womöglich jemand missversteht und ausruft:: „So, so, Katzen mag
dieses eiskalte Luder also; alles Andere berührt sie wohl gar nicht?!“, hier in aller
Ausdrücklichkeit: Ich habe auch nichts gegen Geräteschuppen, Nacktschnecken,
Antriebswellen-Manschetten, Lollis mit Kirschgeschmack, manche Menschen und alle
erdenklichen harmlosen belebten und unbelebten Kreaturen. Selbst Parkuhren füttere ich dann
und wann. Eigentlich bin ich wahnsinnig verträglich. So, und damit wären wir nach
vorausgreifender Entschuldigung und haftungsausschließendem Gedöns endlich beim Punkt:
Jahaaa, eigentlich bin ich verträglich, nur wenn jemand meinen Gartenteich mit einem
überdimensionierten Fressnapf verwechselt, dann werde ich ziemlich uneigentlich. Diese
nett gestaltete Wasserstelle beherbergt nämlich neben dem Fisch noch eine ganze Reihe
hübscher Kröten, Schnecken, Libellen und Seerosen. Die Wortwahl „dem Fisch“ ist hier nicht
rhetorischer Schlamperei sondern der Tatsache geschuldet, dass es sich inzwischen wirklich
nur noch um ein einziges Exemplar handelt.  Wer sich näher mit den biologischen Grundlagen
der Fortpflanzung beschäftigt hat, sei es in wissenschaftlicher Absicht oder auch nur zum
Zwecke des Lustgewinns, wird nun erahnen, dass sich einem Einzelexemplar von Goldfisch
bei der Vermehrung gewisse Hindernisse in den Weg stellen, so dass man die Anzahl von
Fischen nur durch Zufuhr von außen steigern könnte - durch regelmäßige Zufuhr, wie Sie
sogleich einsehen werden.   

Der, der fast neben mir wohnt, besitzt nämlich seit einiger Zeit eine große, kolossal fette...
ähm… wohlgenährte Hauskatze. Genau genommen bin ich mir gar nicht so sicher, ob es rein
rechtlich gesehen allein seine Katze ist, wohnt sie doch nur nachts von 22 Uhr bis 5.30 Uhr
bei ihm. Tagsüber dagegen wohnt sie ausschließlich in unserem Garten. Kein Wunder, dass
sie sich dort bereits nach wenigen Tagen einquartiert hat, wo doch offenbar ihr riesiger
Zweit-Fressnapf hier steht, der bis in vorkätzische Zeit die sichere Heimat zahlreicher,
hübscher, munterer Fischlein war.
Wenn sie sich nicht gerade auf den nagelneuen Sitzpolstern unserer Gartenmöbel vom
Fressen ausruht, streicht sie lauernd ums Gewässer und hält gebannt nach einem neuen
„Fischmenü“ Ausschau und das, obwohl mein Fastnachbar bis zum heutigen Tage darauf
beharrt, dass „die süße, kleine Mieze einfach keine Dosenfutter-Sorten mit Fisch“ anrührt.
Na, warum auch, wenn sie sich bei uns schon die „Fischplatte“ munden lässt. Als Nachtisch
gibt‘s dann beim Nachbarn noch Hühnchen an einem Hauch von Gemüsesößchen, Rind und
durchgemahlenen Doseninhalt, dessen Ursprung man gar nicht so genau wissen möchte.
Unsere nagelneuen Sitzpolster laden übrigens aus Katzensicht allem Anschein nach nicht nur
zum Herumlümmeln, sondern auch zum Hineinhauen der ausgefahrenen Krallen während der
Rückendehnungsübungen ein. Neeeeein, kein Problem. Da inzwischen sämtliche Polster von ihr
auf entsprechende Weise bearbeitet wurden, sieht's beinahe schon wieder so aus als sollte's
so sein und wir hätten einfach einen scheiß Geschmack.

Anfangs glaubte ich jedenfalls in meiner gutmütigen Naivität noch, sie mit einem kurzen,
halblauten „Kschscht“, das von Händeklatschen begleitet war, von Polstern und vor allem
Teich vertreiben zu können. Hat auch funktioniert. So etwa drei Mal. Danach schlurfte sie
nur noch mit halbherzigem Fluchtinstinkt unter den nächsten Busch, um zehn Sekunden
später wieder genervt angeschlichen zu kommen und weiterzufischen.
Mir war bald klar, dass ich mein Begehren etwas resoluter zum Ausdruck bringen musste.
Die Fischpopulation im Teich verringerte sich bereits rapide. Ich variierte mein „Kschscht“
also in den verschiedensten Lautstärken, Tonarten und rhythmischen Abfolgen, probte die
Performance zu Tango- und Rumbaklängen am Keyboard und kontrollierte meine Mimik im
Spiegel. Alles vergebens. Die Katzendame namens „Mimmi“, die äußerlich immer mehr einem
„Free Willy“ glich, ließ sich dadurch nicht beeindrucken, geschweige denn vertreiben.
Der Einsatz einer Trillerpfeife erwies sich schnell als unpraktisch, nachdem die
Fußballmannschaften auf dem nahe gelegenen Dorf-Sportplatz sich mehrmals
irrtümlicherweise zum Spielabbruch genötigt sahen.

Hier mussten stärkere Geschütze aufgefahren werden, was bitte nur sinnbildlich zu verstehen
ist, denn wie ausgiebig betont mag ich ja Katzen. Wenn ich gerade in der Nähe war, stürmte
ich also schnellen Schrittes mit Drohgebärde durch den Garten auf die dicke Miezekatze zu
und stieß einen markerschütternd spitzen Schrei aus, über den ich mich jedes Mal selbst
furchtbar erschreckte und zusammenfuhr. Die diebische Kreatur jedoch verharrte nur graziös
mit einer Pfote im Wasserbecken, schaute mich mitleidig an und setzte den Angelvorgang
dann fort, um einige Zeit später erhobenen Hauptes mit zappelnder Beute im Maul
davonzustolzieren, während ich mit hängenden Schultern dastand und stammelte:
„Aber... aber... der gehört doch mir.“ Einmal ging mir kurz durch den Sinn, mich mit ihr um
den Fisch zu balgen, aber ein bisschen Würde muss man sich schließlich auch als schwacher
Mensch dem Vierbeiner gegenüber noch bewahren. Hinzu kommt der negative psychologische
Effekt, wenn ich den Kampf verloren hätte - negativ für mein nun ohnehin schon angekratztes
Selbstwertgefühl.

Auf meinen anderen Nachbarn hingegen, den ohne Katzen aber dafür mit Rasenvertikulierer,
schienen meine couragierten territorialen Verteidigungsgesten mehr Eindruck zu machen.
Einmal ließ er beim Heckeschneiden ganz entsetzt seine Schere fallen und rief besorgt
herüber, ob er irgendetwas für mich tun könne. Als mein Mann mir neulich grinsend eine
Videoaufnahme meiner bühnenreifen Auftritte präsentierte, konnte ich diese Reaktion
durchaus nachvollziehen.  

„Nun gut“, dachte ich mir irgendwann, „wenn sie es partout nicht anders will, diese sture,
aufdringliche Fellbesitzerin, dann muss ich eben noch härtere Maßnahmen ergreifen!“ Ich fuhr
in den nächsten Gartenmarkt und besorgte die vermeintliche Wunderwaffe gegen ungebetene
Gastkatzen: „Verpiss-Dich-Blumen“. (Nein, ich bin nicht schon wieder unflätig. Die Dinger
heißen wirklich so.) Dabei war ich fürwahr nicht knauserig,, sondern investierte das komplette
Budget, das eigentlich für das neue Rosenbeet gedacht war. Noch am gleichen Tag wurden
die Pflanzen exakt nach Anleitung um den Teich herum gesetzt, während die Miezekatze
zwischen zwei gemütlichen Nickerchen interessiert vom Gartenstuhl aus zuschaute.
„Hübsch“, muss sie sich wohl gedacht haben, „jetzt schmückt die dumme Person extra für
mich auch noch die Festtafel mit schönen Blumen. Sehr dekorativ.“ Dass ich dabei ab und zu
mal kräftig in ihren Katzenkot gelangt habe, den sie in dem Bereich gern verbuddelt, hat sie
bestimmt besonders amüsiert.

Kaum war ich im Haus verschwunden und hatte meinen Beobachtungsposten hinter der
Gardine bezogen, da schlich sie auch schon neugierig heran. „Ha!“, dachte ich mir: „Gleich
wirst du was erleben. Du bist vielleicht raffiniert, aber ich bin schlau!“ Ah, diese Vorfreude,
diese Genugtuung, wie sie so wohlig warm durch meine Adern strömte und mir mein
glücklichstes Lächeln aufs Gesicht zauberte. Endlich, endlich, würde meine Ehre wieder
hergestellt...

Zuerst blieb sie etwa einen halben Meter von der Stinkegrenze entfernt stehen, tat
gelangweilt und beäugte die Neuerung aus den Augenwinkeln. Dann trat sie näher heran,
rieb ihre Nase an dem Kraut und … he, halt, Moment mal, falsche Reaktion, aus, weg, neiiin....
setzte sich. Oh nein, sie setzte sich nicht nur. Sie war sogar in der Lage und im Begriff, die
Schmach noch zu steigern. Fast wäre ich geneigt, zu sagen „noch einen draufzusetzen“, was
es wohl in der Tat am besten treffen würde. Sie verrichtete in aller Seelenruhe ihr Geschäft
zwischen den Blumen und bedeckte es anschließend wie gewöhnlich sorgsam und akribisch
mit Erde. Mir fiel die Kinnlade runter. Vielleicht bilde ich mir das ja nur ein, aber ich könnte
schwören, sie hat beim Davonschlendern noch einen hämischen Blick in meine Richtung
geworfen. 

Der Verkäuferin im Gartenmarkt habe ich dann eine Woche später aber ordentlich die Meinung
gesagt, so in dem Tenor: „Entschuldigen Sie bitte, dass ich Sie belästige, aber ich wollte
Ihnen doch gern sagen, dass die Blümchen nichts genützt haben.“ Sie hat mich daraufhin
sehr verständnisvoll angeschaut und gesagt: „Ich weiß. Das sagen alle Leute.“

Was die dicke Miezekatze angeht, so haben wir uns jetzt auf das einzig sinnvolle Arrangement
geeinigt, das mit ihr zu erreichen war: Sie frisst uns den Teich leer, und wir lassen sie dafür in
unser Blumenbeet koten und unsere Sitzmöbel benutzen.
Aber, wie bereits gesagt, ich bin ein Tierfreund. Und seit ich neuerdings diesen tollen Kursus
in Autogenem Training bei der Volkshochschule besuche und regelmäßig übe, geht der Satz
mir auch schon wieder viel besser über die Lippen: Ich mag Katzen, ich mag Katzen, ich mag
Katzen...

Leilah Lilienruh
 


 

Satiren von Leilah Lilienruh
Antitypen in der Kneipe

Der frohgestimmte Hesse als solcher ist ein
geselliger Typ. Daran besteht wohl kein
Zweifel, wenn auch durchaus regionale
Mentalitätsunterschiede zu beobachten sind.
Sei es bei einem Schoppen Ebbelwoi, der ja
bekanntlich erst nach dem dritten Glas so
recht zu munden beginnt, mit einem kühlen
Bier oder Caipi in der Hand oder auch schlicht
und vernünftig mit Limonade: Von Karlshafen
bis runter nach Neckarsteinach gesellt man
sich gern zu einander und genießt gemeinsam
die Freizeit.
Darin unterscheidet sich der Hesse sicher
kaum von den Bewohnern anderer Regionen
und soll somit nur dem Beispiel dienen.
Bevorzugter Aufenthaltsort zum Amüsement
ist die gute, alte Gastwirtschaft. Gern darf es
auch eine sein, in der zum erfrischenden
Getränk eine stärkende Speise angeboten
wird, wie meiner Person hier rechts im Bild.
Nun gibt es aber leider einige Zeitgenossen,
die dem amüsierwilligen Gast den Spaß
gründlich zu verderben verstehen. Die fünf
Hauptkategorien männlicher Kneipen-
Vermieser hier einmal beschrieben: 


1.Der Unüberhörbare

Eigentlich ist es schnurzegal, wo er sich gerade befindet - sei es nun an der Theke, bereits in
Waagerechthaltung unter ihr, am Stammtisch des örtlichen Schützen-Kleintier-Feuerwehr-
Fußball-Briefmarkensammlervereins, hinter dichten gelben Schwaden im Raucherkabuff oder
gar zielend am Pissoir – seine Stimme vernimmt man auch noch in der hintersten Ecke des
Lokals mit mindestens 100 Dezibel. Er hockt allerdings meistens direkt an meinem
Nachbartisch. Sollten wir, also der geneigte Leser und meine Person, uns also zufällig
einmal in der gleichen Kneipe aufhalten: Keine Bange, er schreit schon in mein Ohr.
Das ist Schicksal: Ich latsche meistens auch in das einzige Kaugummi auf der Tanzfläche.
Was er so schreit? Na,
völlig egal. Eben alles. Hauptsache schön laut und kehlig. Ganz
gleich, ob er seinem Kumpel von den Rindsrouladen in der Werkskantine berichtet, seinen
grenzdebilen Cousin mit dem Handy anruft, der seinerseits ebenfalls so laut brüllt, dass ich
jedes Wort von ihm verstehe (wozu brauchen die beiden überhaupt Telefone, ginge doch
auch so) oder ob er noch ein Bier will und die Kellnerin sich bereits mit gezücktem Bleistift
zu ihm hinunterbeugt – der Kerl brüllt; im letzten Beispiel in ihr Dekolleté, da er Blick- und
Schreirichtung nicht voneinander isolieren kann.

Früher dachte ich in meiner Naivität ja immer, dass solche Typen ganz bedauernswerte
Geschöpfe seien, die unter krankhafter Schwerhörigkeit leiden oder diesen Job am Bau
machen würden, bei dem man immer mit so einem ohrenbetäubend lauten Presslufthammer
rumjuckelt. Mittlerweile hege ich aber eher den Verdacht, es könnte sich um eine Art von
akustischem Exhibitionismus handeln.
Auf jeden Fall erfährt man vom „Unüberhörbaren“ viel mehr, als man jemals wissen wollte
und das sogar dann noch, wenn nebenbei zwei Folkmusiker in die Saiten hauen und Sauflieder
grölen wie neulich im Irish Pub:
„As I was goin’ Do spricht die Ahle doch glatt I saw Captain nu räum do endlich mo
dinne dreckijen
he was countin’ Unnerhosen vom Küjjentische and then produced my
rapier unn ich hab’ geantwortet stand o’er and deliver was soll dann das Gemähre,
Schnegge
the devil he may take ya Das sinn do bloß drei Stigg! Musha ring dum  Jo,
unn uff eima war se weg
dum a da…”


2. Der Schrei-Lacher 

Hierbei handelt es sich genau genommen um eine Untergattung des Unüberhörbaren, wobei
sich seine Lautstärke lediglich auf das Teilgebiet der Lach–Inkontinenz bezieht. Das
Heimtückische an der Sache ist, dass der Schrei-Lacher meistens ohne jegliche Vorwarnung
loslegt und dabei direkt bei 100 Dezibel einsteigt. Schöne Effekte erzielt er damit bei Damen
und Herren in seiner Umgebung, die gerade ein heißes Getränk zum Munde führen. (Mein Tipp:
Brandblasen sofort ausgiebig am Toilettenwaschbecken mit kaltem Wasser behandeln.
Das beschleunigt die Wundheilung enorm. Anschließend dem Schrei-Lacher dessen Bier
ins Gesicht kippen. Das hilft zwar nicht bei der Wundheilung, aber beim Frustabbau.)
Eine Variante des Schrei-Lachens ist das speichelintensive Prust-Lachen.
Clevere Lokalbesucher haben stets eine Speisekarte zur Hand, die sie gegebenenfalls
geistesgegenwärtig zur Abwehr feuchten Niederschlags einsetzen können. Man sollte
es nicht glauben, aber – Achtung – routinierte Pruster überbrücken locker eine Distanz
von bis zu zwei Metern. Wer den Film "Feuchtgebiete" für ein ästhetisches Meisterwerk
hält, sollte solch eine Prust-Lach-Performance einmal mitfilmen und sich daheim in
Zeitlupe anschauen. Bestimmt auch wunderschön als Endlos-Schleife für den
Bildschirm-Schoner im Büro.

Nach langjähriger Beobachtung scheint es mir übrigens so, als ob der Prustreiz bei ihnen
besonders ausgeprägt ist, wenn sie selbst gerade einen kräftigen Schluck genommen
und noch im Mund haben.


3. Der Eklige
(Achtung, jetzt wird’ s echt eklig!)

Die Kategorie von Kneipenbesucher prokelt und fingert an allem herum, was irgendwie in
Reichweite ist, vorzugsweise in den eigenen Körperöffnungen. Gemeint sind hier
selbstverständlich der Mund sowie Ohr- und Nasenlöcher. Andere Stellen sind natürlich
absolut undenkbar... da schlecht zu erreichen und im Allgemeinen verpackt.
Gern wird folgende Variante gebraucht: Den kleinen Finger leicht abspreizen und
beispielsweise ins Ohr einführen - aber schön tief bitte – kleine Drehbewegungen
vollführen und anschließend die Ausbeute bewundernd gegens Licht halten. Nein, nein,
dazu muss der geübte Ekel-Aspirant nicht sein Gespräch unterbrechen oder das Bierglas
abstellen. Er ist da durchaus multitask-fähig, wenn diese Eigenschaft Männern auch
sonst gern abgesprochen wird.

Eine Spielart, die häufig nach dem Einnehmen der Mahlzeit zu beobachten ist, betrifft den
Mundraum und hier in besonderem Maße den Kiefer. Zahnpflege ist ja bekanntlich äußerst
wichtig - auch zwischen den Zähnen, ja auch da sammelt sich allerhand, was da nicht
hingehört. Man möchte schließlich nicht unangenehm auffallen. Also befreit der gute Mann
voller Hingabe per Zahnstocher oder Fingernagel sämtliche Zahnzwischenräume von den
Resten seines unlängst genossenen Wiener Schnitzels, des Beerensorbets oder der
Spargelstangen. Zufrieden betrachtet er wiederum die Ausbeute, um sie dann genüsslich
abzuschlecken und sich noch einmal am Geschmack des Mahls zu erfreuen.

Wenn der Mund-, Ohr- und Nasenbereich bereits abgearbeitet ist, geht mein Lieblings-Mitgast
meistens zum exzessiven Bearbeiten der Kopfhaut über. Auch wenn es so wirken mag: Diese
Typen haben keine Läuse (hoffe ich zumindest immer). Sie verspüren in Gegenwart von
essenden und trinkenden Zeitgenossen wohl einfach einen verstärkten Juckreiz  an den
Haarwurzeln. Auch hier wieder die Devise: Ordentlich schaben und dann fasziniert die
Fingernägel anschauen. Der Kontrollblick scheint von zentraler Wichtigkeit zu sein, weshalb
ich dem Phänomen gelegentlich noch einmal pseudo-wissenschaftlich nachgehen muss.

Der Vorteil für mich an der ganzen Sache: Ich bin bei diesem Anblick schlagartig satt und
nehme nicht unnötig viele Kalorien zu mir. Auch hier wieder: Einfach mal mitfilmen und zuhause
im Esszimmer laufen lassen. Vorsichtshalber Tüten bereitlegen. Die nächste Diät wird ein Erfolg!

Unter die Kategorie „widerwärtig“ würde auch noch der allseits beliebte Terror-Schnäuzer und
Schnutt-Nachgucker fallen, auf den ich hier allerdings aus Platz- und Ästhetikgründen nicht
näher eingehen möchte. Nur so viel: Er tritt verstärkt in Erkältungszeiten in Erscheinung und
zwar erfahrungsgemäß nicht selten in Personalunion mit "Unüberhörbarem" und "Ekligem".


4. Der Gucker

Vom Volksmund wird er auch gern salopp als Spanner oder Gaffer bezeichnet. Vom echten
Spanner unterscheidet er sich aber dadurch, dass es dort, wohin er starrt, für normale
Menschen gar nichts Interessantes zu sehen gibt. Der „In-Ausschnitt-Faller“ wäre also
noch einmal gesondert zu behandeln.
Die Angehörigen der Gattung „Einfach blöd gucken“ sitzen vorzugsweise an der Theke oder
an Ecktischen mit dem Rücken zur Wand, womit die Infrastruktur bereits gelegt wäre.
Überwiegend handelt es sich dabei um Einzelexemplare, die wie bestellt und nicht abgeholt
wirken, jedoch werden sie gelegentlich auch in Begleitung ihrer Partnerin oder eines Kumpels
aktiv.
Ich bin davon überzeugt, dass die Manie des Gaffers nur auf dem Irrglauben beruhen kann,
er selbst sei unsichtbar oder in der Lage, sich komplett hinter einem 0, 3 l – Bierglas zu
verstecken. Anders lässt sich sein fortwährendes Gaffen bei geöffnetem Mund nicht erklären.
Jede Person, die sich ihres eigenen Sichtbarseins bewusst ist, würde in Grund und Boden
versinken, wenn man solches Verhalten von ihr verlangte. Zeitgenossen, die so gestrickt
sind, verleiten andere Menschen dazu, ihre Kleidung auf etwaige offene Reißverschlüsse zu
kontrollieren und im Toilettenspiegel nachzuprüfen, ob womöglich eine Nudel an der Nase klebt.

Eine kleine Untergruppe der Gaffer, der offenbar durchaus noch bewusst ist, selbst gesehen
zu werden, bedient sich beim Glubschen kleiner Tricks: Die Thekensitzer fixieren ihre Opfer
zum Beispiel gern „mittelbar“, nämlich unter Zuhilfenahme der Spiegelleiste über dem
Flaschenregal. Als Beobachtungsobjekt wird man dann der Lage gewahr, wenn man zufällig
die starrenden Blicke des Gaffers im Spiegel streift. Sehr unheimlich! Auch die gute, alte
Tageszeitung wird nach wie vor gern zur vermeintlichen Tarnung genutzt.
Andere von ihnen wiederum nehmen eine dauerhafte Augenfehlstellung in Kauf, indem sie
permanent aus den Augenwinkeln in die entsprechende Richtung stieren. Natürlich sind sie
davon überzeugt, dass dies nicht auffällt. Natürlich fällt es auf.
Defensives Zurückstarren hat übrigens nur in wenigen Fällen Erfolg, sondern animiert eher
noch. Schlimmstenfalls steht der Gaffer drei Minut
en später neben einem und säuselt: "Ich
hab' schon gemerkt, dass du die ganze Zeit zu mir rüberschaust. Kann ich mich zu
dir setzen."


5. Der Fummler

Diesen Zeitgenossen muss man wohl in die Spezies der Dauerteenager oder Regredierten
einordnen. Er wird wie von einem Zwang beherrscht immer dann tätig, wenn seine jeweilige
Gefährtin in Reichweite ist. Reichweite ist in diesem Falle wörtlich zu verstehen, denn sobald
er sie mit der Hand oder sonstigen Körperteilen erreichen kann, tut er es auch.
Da wird gefummelt, befingert, gekrault und gegrabscht, dass es dem Außenstehenden als
unfreiwilligem Beobachter die Schamesröte ins Gesicht treibt. (Na ja, okay, es sei denn, man
steht aufs "Zugucken", aber dafür reicht's dann auch wiederum nicht, was da geboten wird.)
Wer das Pech haben sollte, aufgrund räumlicher Enge neben der Angebeteten zu stehen oder
zu sitzen, kann davon ausgehen, unfreiwillig ebenfalls ein paar Streicheleinheiten
abzubekommen. Und nicht selten drängt sich die Frage auf: "Denkst du jetzt wirklich, deine
Süße hätte plötzlich nach dem Abendessen so ein breites Becken wie zwei normale Frauen
und neben ihrer Jeans am anderen Bein noch eine Lederhose an oder grabschst du dumme Sau
mir jetzt absichtlich an den Arsch?"
Ganz so, also wäre man allein im heimischen Schlafgemach, lässt der enthemmte Grabscher
wie nebenbei seine Finger über sämtliche Körperwölbungen seiner Herzensdame gleiten und
nicht selten auch beglückt dort ruhen.
Wie sich seine Partnerin fühlt, so offen befummelt, scheint ihm einerlei zu sein, denn schiebt
sie seine Hand sachte in weniger anzügliche Gefilde, so ist sie zwei Sekunden später „flutsch“
wieder dort.
Manchmal möchte man gar glauben, der Fummler halte sich selbst für einen fleischgewordenen
Büstenhalter oder Miedergürtel. „Schaut nur!“, scheint er der ganzen Welt sagen zu wollen:
„Schaut, wie perfekt diese weibliche Brust (diese Pobacke) in meine Handfläche passt!“
Besonders beliebt ist unter Seinesgleichen der beherzte Griff unter der Achsel der Partnerin
hindurch. Wohl dem, der lange Arme hat, nicht wahr?!

Die ganz frisc
h Verliebten müssen sich hier nicht angesprochen fühlen: Sie befinden sich in
einem Ausnahmezustand geistiger Umnachtung, sind nicht mehr in der Lage gegen ihre
Hormonlage anzudenken und regredieren fast immer zu Teenagern.)

Leilah Lilienruh

 


 

 




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